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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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…«
    Sie brach ab. Verharrte vollkommen regungslos. Sie neigte sich so weit es ging zum Bild hin, bis ihre Augen nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt waren, dann wanderten sie es, von unten beginnend, akribisch ab. Es dauerte Minuten, bis sie wieder sprach.
    »Es ist erstaunlich. Ganz seltsam. Ein irrer Gauguin – wenn er ihn gemalt hätte. Aber er hat ihn nicht gemalt. Auch wenn er natürlich die imitierte Signatur trägt.«
    Dupin begriff nicht. »Was meinen Sie?«
    »Ich meine: Gauguin hat kein solches Bild gemalt. Der Maler dieses Bildes hat gewisserweise auf der Grundlage des Gauguin-Bildes improvisiert, eine Variation geschaffen.«
    »Und wer hat es gemalt – ich meine, wer hat sich dieses Bild ausgedacht?«
    »Keine Ahnung, einer der hundert Maler, die Gauguin-Bilder nachgemalt und variiert haben. Und es immer noch tun. Die vielleicht auch diese anderen Bilder gemalt haben hier, wer weiß. Sie sind alle sehr gut gemacht, von Leuten, die ihr Handwerk verstehen. Sie kennen sich aus mit Gauguins Stil, seinem Pinsel, seiner Art zu arbeiten.«
    »Was Sie meinen, ist: Sie kennen kein solches Bild von Gauguin. Kein Bild, das so aussieht.«
    Diese Präzisierung war Dupin wichtig.
    Marie Morgane Cassel ließ sich Zeit mit der Antwort.
    »Ja. Sie haben recht. Streng genommen kann ich nur das sagen.«
    Sie fixierte das Bild immer noch hoch konzentriert.
    »Eine außerordentliche Arbeit. Ein großartiges Bild. Dieser Imitator ist sehr gut.«
    Sie schüttelte den Kopf, Dupin war unsicher, was das heißen sollte.
    »Und Sie können mit Sicherheit ausschließen, dass es ein Gauguin ist – ich meine: von Gauguin gemalt wurde. Dieses Bild, das hier hängt?«
    »Das kann ich. Das Malweiß in diesem Bild, das kann man auch ohne spektroskopische Analyse sehen, ist Titanweiß. Das gibt es in der modernen Malerei erst ab 1920. Gauguin malte mit einer Zusammensetzung aus Bleiweiß, Bariumsulfat und Zinkweiß. Zudem ist die Craquelure nicht tief und verästelt genug für ein hundertdreißig Jahre altes Bild.«
    Dupin fuhr sich durch die Haare. Aber es gab noch eine andere Möglichkeit. Noch war er nicht am Ende.
    »Vielleicht ist das hier nur eine Kopie. Wie bei den anderen Bildern. Und in einem Tresor liegt das echte Bild.«
    »Und Monsieur Pennec hätte die teure Klimaanlage für ein abgemaltes, fast wertloses Bild installieren lassen?«
    Jetzt schwieg Dupin für längere Zeit.
    »Pierre-Louis Pennec hat in den Tagen vor seinem Tod versucht, mit dem Musée d’Orsay in Verbindung zu treten.«
    Dupin hatte diesen Satz ohne Kraft gesprochen, wie eine letzte, schon resignierte Auflehnung.
    »Mit dem Musée d’Orsay ? Das wissen Sie?«
    »Ja.«
    »Sie meinen, er hätte sich – gäbe es einen echten Gauguin, entschieden, jemandem von dem Bild zu erzählen? Einem Experten? Ich meine, warum jetzt? Und …«
    Nun blickte auch Madame Cassel ratlos.
    »Pennec hat Anfang der Woche erfahren, dass er todkrank ist. Und jeden Tag hätte sterben können …«
    Wieder war Dupin erstaunt, wie viel er erzählte. Seine Inspektoren wussten nichts von all diesen Dingen.
    »Er war todkrank? Und man hat ihn umgebracht?«
    »Ja. Und ich bitte Sie, das ganz für sich zu behalten.«
    Marie Morgane Cassel runzelte die Stirn.
    »Geben Sie mir ein Notebook mit Internetzugang. Ich will etwas recherchieren. Über diese Jahre Gauguins. Über die Vision, Vorarbeiten und Studien zu diesem Bild.«
    »Ja. Tun Sie das.«
    Dupin schaute auf die Uhr. Es war jetzt halb zwölf. Er konnte plötzlich nicht mehr. Er war erschöpft und wusste nicht mehr weiter. Er ging wortlos zur Tür und öffnete sie.
    »Machen Sie das in Ruhe. Wir haben ein Zimmer für Sie reserviert. Ich werde einen meiner Inspektoren bitten, Ihnen ein Notebook hinaufzubringen.«
    »Das ist nett, ich habe nicht daran gedacht, meins mitzubringen.«
    »Wie sollten Sie auch. Es ist jetzt fast Mitternacht. Wir sehen uns dann morgen früh. Sollen wir uns zum Frühstück treffen?«
    »Zum Frühstück! Acht Uhr. Dann habe ich noch etwas Zeit.«
    »Gut.«
    Dupin trat in den Vorraum. Kadeg stand an der Rezeption.
    »Kadeg, Madame Cassel braucht ein Notebook. Gibt es einen Internetzugang auf ihrem Zimmer? Wir brauchen das sofort.«
    »Jetzt?«
    »Ja, jetzt. Es geht um wichtige Recherchen.« In noch bestimmterem Ton fügte er hinzu: »Und ich will morgen früh Reglas sehen.«
    »Reglas hat vor einer Stunde angerufen und wollte Sie sprechen, wegen des Einbruchs oder was auch immer es war.«
    »Ich will

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