Bretonische Verhältnisse
möchte die Tür schließen.«
Er schloss ab und ging dann wortlos bis zur Bar, Madame Cassel folgte ihm.
»Wie hoch würden Sie den Wert eines Gauguins in diesem Format einschätzen?«
Dupin zeigte auf eines der Bilder an der Wand, drei Hunde, die auf einem Tisch aus einer Schüssel tranken.
»Das ist ein sehr berühmtes Bild von Gauguin, Stillleben mit drei Hündchen – das Obst, die Gläser, die Schüssel, ganz unglaublich, so vertraut diese Bildgegenstände wirken, schauen Sie einmal genau hin: wie unvermutet das ganze räumliche Gefüge ins Wanken gerät. Hier kann man gut sehen, was Gauguins typisches Vorgehen ist … Oh, Entschuldigung, darum geht es ja gar nicht.«
»Ich meine nicht dieses Bild im Speziellen, nur als Beispiel. Ich meine den Wert eines Gauguins in diesem Format.«
»Zirka neunzig mal siebzig Zentimeter ist ein häufig verwendetes Format Gauguins gewesen. Der Wert ist aber nicht nur eine Frage des Formates, auch der Phase. Am allermeisten hängt er von der Bedeutung des Bildes innerhalb seines Œuvres und in der Kunstgeschichte ab. Und natürlich davon, wie wahnsinnig der Kunstmarkt sich gerade gebiert.«
»Ich denke an ein Bild, das Gauguin hier in Pont Aven gemalt hat. Nicht als er gerade hierhergekommen war, eher später.«
»Gauguin war vier Mal in Pont Aven, zwischen 1886 und 1894, ganz unterschiedlich lang. Wussten Sie, dass er genau hier gewohnt hat? In diesem Hotel?«
»Wusste ich.«
»Beim vierten Aufenthalt war er streng genommen auch nicht mehr in Pont Aven, es war ihm schon zu viel Trubel, und er lebte und arbeitete in Le Pouldu. Die entscheidenden Jahre waren sicherlich die von 1888 und 89 bis 91 – der zweite und dritte Aufenthalt, hier entstanden die wichtigsten Bilder, er …«
Die Professorin war in ihrem Element. Sie war ganz offensichtlich eine leidenschaftliche Wissenschaftlerin. Es strömte aus ihr heraus.
»Sagen wir ein Bild dieses zweiten oder dritten Aufenthaltes. Nur als Annahme.«
»Es gibt einige Bilder in ungefähr diesem Format, die wäh rend dieser Zeit entstanden sind. Ein paar kennen Sie sicher – der Gelbe Christus natürlich oder das Selbstbildnis mit gelbem Christus oder das Bildnis der Madeleine Bernard , der Verlobten Lavals’, Gauguins Muse und langjährige Brieffreundin. Meinen Sie ein bestimmtes Bild?«
»Nein, kein bekanntes Bild«, er zögerte etwas, »ich meine ein bisher vollkommen unbekanntes Bild.«
»Ein unbekannter großer Gauguin aus den Jahren 1888, 89 oder 90?«
Marie Morgane Cassel war eine größere Aufregung anzumerken, sie sprach jetzt schneller.
»Das sind die Jahre, in denen er seinen revolutionären Stil entwickelt hat, dem er dann alles unterwarf, Technik und Farbe, alles. In dem er sich endgültig von den Bindungen an den Impressionismus löste. Er war von seinem ersten Aufenthalt in Panama und auf Martinique zurückgekehrt. Und war jetzt schon der führende Kopf der Künstlergruppe. Im Oktober zog er zu van Gogh nach Arles, um mit ihm gemeinsam zu leben und zu arbeiten – was nur zwei Monate dauerte und in einem fürchterlichen Streit endete, in dessen Verlauf van Gogh sich das berühmte Stück seines Ohres abschnitt, das kennen Sie ja … Entschuldigung, ich schweife schon wieder ab. Eine Berufskrankheit, schätze ich.«
»Ja genau, ein Bild aus diesen Jahren.«
»Das ist höchst unwahrscheinlich, Monsieur Dupin. Ich denke nicht, dass es Bilder aus dieser Zeit in diesem Format gibt, von denen man nichts weiß.«
Dupins Stimme wurde leise.
»Ich bin mir dessen bewusst.«
Noch etwas leiser, kaum hörbar, fügte er hinzu:
»Ich glaube, in diesem Raum hängt eines. Ein bisher unbekanntes Gemälde von Gauguin. Aus dieser Zeit.«
Es entstand eine lange Pause, Marie Morgane Cassel starrte den Kommissar ungläubig an.
»Ein echter Gauguin? Ein unbekanntes Bild aus einer seiner wichtigsten Phasen? Sie sind verrückt, Monsieur Dupin. Wie sollte ein echter Gauguin hierhin gelangt sein? Wer würde einen Gauguin in ein Restaurant hängen?«
Dupin nickte freundlich. Er trat ein paar Schritte in den Raum.
»Eines Abends«, das war die Geschichte, die Juliette ihm damals erzählt hatte, »hatte Picasso mit einer Gruppe von Freunden in einem Restaurant gegessen, es war eine lange, wunderbare Nacht geworden. Es wurde viel gegessen und getrunken. Picasso war bester Laune und zeichnete und malte die ganze Nacht auf die Papiertischdecke. Als sie zahlen wollten, schlug der Wirt ihm vor, stattdessen einfach auf der
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