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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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aufgebrochen war, ob er allein gewesen war, ob er jemanden getroffen hatte, über all diese Fragen war nicht zu sprechen gewesen in dieser Situation. Nolwenn, das war der einzig erfreuliche Anruf, hatte die genaue Adresse von Charles Sauré herausbekommen. Dupin wollte seinen Besuch nicht angekündigt wissen.
    Dupin mochte die Nordküste nicht so sehr. Sie war wirklich verregnet, das Wetter war deutlich schlechter als im »Süden«, wo häufig die Azorenhochs regierten. Nolwenn – wie jeder »Südler« – betete ihm die Zahlen regelmäßig vor: zweitausendzweihundert jährliche Sonnenstunden im südlichen Finistère, dagegen lediglich tausendfünfhundert im nördlichen. Außerdem war die Küste zumeist felsig und steinig und selbst da, wo es Sandstrände gab, waren sie schmal, und bei Ebbe entstanden dahinter kilometerbreite von Seetang bedeckte braungraue Felslandschaften, sodass die Strände zu absurd dünnen Sandstreifen in riesengroßen Algenöden wurden. Es war unmöglich zum Meer zu gelangen, unmöglich schwimmen zu gehen. Carantec war eine der Ausnahmen im Norden, es hatte einen wunderbaren Strand, selbst bei Ebbe. Dutzende Inselchen waren einer weiten, sanften Bucht malerisch vorgelagert. Der ganze Ort hatte Atmosphäre, war authentisch, und besaß eine gemütliche kleine Altstadt auf einer Landzunge mit engen verwinkelten Gassen, die irgendwie alle am Meer endeten, auch wenn man sich zuweilen wunderte, wie das möglich sein konnte. Das Haus der Saurés lag mitten in dem kleinen Ort, nahe des kleinen Hafens mit den zwei, drei wunderbar einfachen Restaurants (Dupin erinnerte sich an das Entrecôte in dem einen Restaurant sehr gerne). Sie parkten am Hauptplatz, von da waren es nur ein paar Schritte. Es stürmte und regnete immer noch, wie schon die ganze Fahrt über, nirgends war es besser gewesen. Dupins Kleider waren immer noch klamm. Er wusste ja, dass er selten aussah wie ein ordentlicher Kommissar, jetzt gerade war es vermutlich noch weniger der Fall.
    Er klingelte zwei Mal kurz und entschlossen. Ein hagerer, kleiner Mann öffnete die Tür, verschmitzte, intelligente Augen, volle, wuschelige Haare, ein weites, verblichenes blaues Hemd, Jeans.
    »Bonjour Monsieur Sauré?«
    Saurés Gesicht wurde ganz spitz und sprach Bände.
    »Und mit wem habe ich die Ehre?«
    »Commissaire Georges Dupin, Commissariat de Police Concarneau. Und das ist Professor Cassel aus Brest.«
    Saurés Züge wurden konzilianter, wenn auch nur ein wenig.
    »Ja. Der Commissaire. Sie hatten mit meiner Frau telefoniert. Wollten Sie nicht anrufen? Meine Frau sagte, Sie wollten anrufen. Vor einer halben Stunde.«
    Dupin hatte keine Sekunde darüber nachgedacht, wie er erklären sollte, dass er ohne Ankündigung plötzlich vor der Tür stand und nicht wie verabredet angerufen hatte, also überging er es einfach.
    »Es geht um einige wichtige Fragen. Sie könnten mir mit Ihren Auskünften sehr helfen. Sie haben am Dienstag mit Pierre-Louis Pennec telefoniert, wie wir erfahren haben. Von dem Mord an ihm haben Sie ja sicherlich gehört.«
    »Ja, furchtbar. Ich habe davon aus der Zeitung erfahren. Kommen Sie doch bitte herein, wir sprechen drinnen weiter.«
    Monsieur Sauré trat einen Schritt zur Seite, ließ Madame Cassel und Dupin herein und schloss geräuschlos die Tür.
    »Hier entlang. Wir gehen in den Salon.«
    Das Haus war viel größer, als es von außen den Anschein hatte. Sehr geschmackvoll und teuer eingerichtet. Modern, aber nicht kalt. Altes und Neues sicher kombiniert, alles in den Farben der Bretagne, dem tiefen Blau, dem hellen Grün, dem strahlenden Weiß – den atlantischen Farben. Gemütlich.
    »Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht freundlicher begrüßt habe. Ich habe nicht mit Besuch gerechnet und wie gesagt, meine Frau hatte angekündigt, dass Sie sich telefonisch melden würden. Sie ist einkaufen gefahren, zum großen Leclerc , wir erwarten heute Abend Gäste. Sie müsste gleich zurück sein. Aber ich kann Ihnen auch etwas anbieten – möchten Sie einen café , ein Wasser?«
    »Ich nehme gerne einen café , vielen Dank.«
    Madame Cassel hatte geantwortet, bevor Dupin reagieren konnte. Er wäre am liebsten sofort zur Sache gekommen.
    »Und Sie, Monsieur le Commissaire?«
    »Ich auch. Danke, gerne.« Jetzt, wo es nun mal so war – er hatte schon seit Stunden keinen café mehr getrunken.
    »Setzen Sie sich bitte, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«
    Sauré deutete auf das tiefe Sofa und die beiden dazugehörenden Sessel,

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