Bretonische Verhältnisse
Ich habe noch mit Reglas gesprochen. Er hat die Stelle ausfindig machen können, an der Loic Pennec gestürzt ist. Er war vermutlich nicht alleine, denkt Reglas.«
»Er war nicht alleine?«
»Es gibt eventuell Spuren einer zweiten Person. Reglas sagt, es ist äußerst schwer zu erkennen. Und der Regen hat schon viel weggeschwemmt.«
»Ist die Information schon belastbar?«
»Nein.«
»Reglas soll sofort Bescheid geben, wenn er sich sicher ist.«
»Das wird er.«
»Riwal, ich will wissen, wer die Kopien gemalt hat, die im Central hängen. Vor allem das Bild, das der Restauranttür am nächsten hängt. Wir brauchen den Namen so schnell wie möglich. Wir müssen uns jetzt restlos darauf konzentrieren.«
»Was meinen Sie?«
»Genau das, was ich gerade gesagt habe.«
»Sie wollen wissen, wer die Kopien gemalt hat, die im Restaurant hängen?«
»Ja. Vor allem die eine.«
»Jetzt? Sie meinen jetzt?«
»Jetzt.«
»Und der neue Tote? Innerhalb von drei Tagen ermordet jemand zuerst Pierre-Louis Pennec und wahrscheinlich dann seinen Sohn. Rottet fast die ganze Familie aus. Die Spuren …«
»Ich brauche den Maler dieses Bildes.«
»Soll ich nicht hierbleiben? Am Tatort?«
»Was auch dringend ist: Wir müssen sofort den Mitarbeiter des Musée d’Orsay erreichen, mit dem Monsieur Pennec gesprochen hatte.«
»Er ist im Urlaub, bis Ende nächster Woche. Kadeg hat ja gestern mit seiner Sekretärin gesprochen, die ihn aber nicht erreichen konnte. Pennec hatte die Sekretärin am Apparat, als er vorige Woche im Musée d’Orsay anrief. Die Sekretärin hat aber keine Ahnung, worum es ging, was Pennec wollte, sie hat ihn nur durchgestellt.«
»Wir müssen ihn ausfindig machen. Wie heißt er?«
»Das weiß Kadeg.«
»Ist egal im Augenblick. Wichtig ist, dass wir ihn schnellstmöglich ausfindig machen. Und ich will Madame Cassel sehen.«
Riwal wirkte durcheinander.
»Madame Cassel? Jetzt?«
»Die Nummer. Geben Sie mir ihre Handynummer. Das genügt im Moment. Ich habe vergessen, sie mir aufzuschreiben.«
»Wer wird Madame Pennec die schreckliche Nachricht überbringen? Sie sollten das tun, Monsieur le Commissaire.«
»Kadeg soll das übernehmen. Er soll sofort losfahren. Auf der Stelle. Ich werde später zu Madame Pennec fahren. Er soll mich ankündigen.«
»Das gibt Ärger, das wissen Sie.«
»Er soll umgehend aufbrechen. Sie soll es zumindest nicht irgendwie erfahren. Und wir müssen natürlich so viel wie möglich über Pennecs Spaziergang wissen. Wann er los ist, wohin, warum? Alleine?«
»Ich sag es ihm. Aber das wird sicher schwer, ich meine, nach dieser Mitteilung …«
»Rufen Sie mich an, sobald Sie etwas haben. Das Wichtigste ist, den Mann aus dem Museum ausfindig zu machen. – Und den Kopisten.«
Dupin legte auf. Der Regen hatte unvermittelt nachgelassen. Im Westen, weit draußen über dem Meer, beim großen schwarzen Felsen (dem Men Du , der dem Ort und dem Hotel seinen Namen gegeben hatte), war ein Loch in den Wolken aufgerissen. Ein Sonnenstrahl fiel dramatisch hindurch und schuf einen grell blendenden, scharfumrandeten Kreis auf dem ansonsten tiefschwarzen Meer.
Es gab also vage Hinweise auf eine zweite Person. Dupin glaubte ohnehin nicht an einen Unfall. Das Geschehen hatte seinen Lauf genommen. Er tastete nach seinem Notizbuch, das in der Brusttasche ein wenig geschützt gewesen war. So gut es ging, trocknete er es mit einer Serviette, sehr nass war es nicht geworden. Er begann, einige Notizen zu machen.
Das Handy klingelte, wieder Riwal.
»Ja?«
»Er heißt Charles Sauré. Der Mann vom Musée d’Orsay . Er ist der Leiter der Sammlung. Ich habe gerade noch einmal mit seiner Sekretärin gesprochen. Wir haben es geschafft, an ihre Privatnummer zu kommen. Monsieur Sauré hat ein Haus, oben im Finistère, in Carantec.«
»In der Bretagne? Er hat ein Ferienhaus hier in der Bretagne?«
»Genau.«
»Ist das nicht ein merkwürdiger Zufall?«
»Ich weiß nicht, Monsieur le Commissaire, sehr viele Pariser haben ein Ferienhaus in der Bretagne. Vor allem die Intellektuellen.«
»Das ist auch wieder wahr. Und da hält er sich gerade auf?«
»Seine Sekretärin geht davon aus.«
Dupin kannte Carantec. Ein sehr hübscher Ort, an der Nordküste. Ein bisschen mondän. Aber nicht unangenehm, nicht zu schick. Er war zwei Mal da gewesen, zuletzt vorige Ostern mit Adèle, ihre Großmutter lebte dort.
»Haben wir seine Nummer?«
»Bloß eine Festnetznummer. Der Anschluss in seinem Haus.«
»Haben
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