Bretonische Verhältnisse
späten Vormittag zurückzurufen. Das hat er getan.«
»Er war es, der Sie noch einmal angerufen hat?«
»Ja. Am Vormittag noch. Er kam sehr schnell auf den Punkt. Dass ihm sein Vater einen Gauguin vermacht habe, von dessen Existenz die Kunstgeschichte bis dato nicht wisse, dass er ihn über Jahrzehnte aufbewahrt habe, aber nun der Sammlung des Musée d’Orsay überlassen wolle. Als eine Schenkung.«
Dupin fuhr zusammen.
»Er wollte das Bild dem Museum überlassen? Einfach schenken?«
»Ja. Das war sein Wunsch.«
»Aber das Bild hat doch einen immensen Wert. Wir sprechen von dreißig, vierzig Millionen Euro.«
»Das tun wir.«
Sauré war vollkommen ruhig.
»Wie haben Sie reagiert?«
»Ich war mir im ersten Augenblick nicht sicher, was ich von dieser Geschichte halten sollte. Natürlich klang sie fantastisch, dann jedoch wieder auch zu fantastisch, um eine Erfindung zu sein. Und zu welchem Zweck würde sich jemand eine solche Geschichte ausdenken? Im schlimmsten Falle will sich jemand wichtigmachen, habe ich mir gesagt. Monsieur Pennec wollte, dass wir uns so schnell wie möglich treffen.«
»Hat er gesagt, warum dies so rasch geschehen sollte?«
»Nein. Er war überhaupt eher formell. Was mir sehr angenehm war. Und ich empfand es als unangemessen, ihm private Fragen zu stellen. Wir haben in der Kunstwelt mit sehr eigenwilligen Charakteren zu tun. Und an sich ist eine Schenkung an das Museum kein ungewöhnlicher Vorgang.«
»Ungewöhnlich ist aber doch sicherlich der Wert dieser Schenkung. Eine solche Schenkung wird das Museum nicht alle Tage bekommen.«
»Monsieur Honoré muss ganz fassungslos gewesen sein«, warf Madame Cassel ein.
Charles Sauré blickte sie ein wenig missbilligend an. Richtung Dupin fügte er hinzu:
»Der Direktor des Museums. Einer der renommiertesten und einflussreichsten Köpfe der Kunstszene. Ich habe mit Monsieur Honoré bisher nicht gesprochen. Es schien mir noch nicht der richtige Zeitpunkt. Ich wollte keine Pferde scheu machen, das wäre fahrlässig. Ich dachte, ich sollte zunächst das Bild sehen, sichergehen, dass es sich wirklich um einen Gauguin handelte. Und es war ja erst alles genau zu erörtern, die Schenkung, der Zeitpunkt, die Konditionen. Alles.«
»Und dann haben Sie sich direkt für den nächsten Tag verabredet?«
»Meine Frau und ich hatten ohnehin vor, übers Wochenende hierherzukommen und eventuell ein paar zusätzliche Tage zu bleiben. Pont Aven liegt zwar nicht ganz auf dem Weg, aber das ist ja keine Entfernung. Es fügte sich sehr bequem für uns.«
»Und dann haben Sie sich direkt im Hotel getroffen?«
»Ja. Meine Frau ist eine Stunde durch Pont Aven gelaufen, und ich bin ins Hotel gegangen, er erwartete mich bereits unten an der Rezeption. Er hatte gebeten, dass ich zwischen drei und fünf kommen soll. So hatten wir im Restaurant unsere Ruhe. Er kam auch bei dem Treffen sofort auf den Punkt. Er hatte bereits einen Termin bei seiner Notarin gemacht, um die Schenkung testamentarisch zu verfügen. Er wollte eine Übergabe noch in der nächsten Woche. In Pont Aven, er wollte nicht nach Paris kommen. Er hatte sich sogar schon einen kleinen Text ausgedacht für eine Tafel, die neben dem Bild hängen und die Geschichte des Bildes erzählen sollte, auch die Geschichte des Hotels, seines Vaters und der großen Marie-Jeanne Pennec natürlich.«
»Er wollte die Geschichte des Bildes öffentlich machen?«
»Durchaus. In bescheidener Weise. Er wollte kein Aufhebens bei der Übergabe, keine Presseerklärung, keine feierliche Aufhängung, nichts derart. Nur die kleine Tafel. Ich habe ihm gesagt, dass man ein solches Bild in einem solchen Museum nicht einfach so eines Morgens aufhängen könne. Ohne eine Erklärung. Die Existenz dieses Bildes ist eine Sensation, und alle würden fragen, wo es aus heiterem Himmel herkäme, die Wissenschaft, die Presse, das Publikum. Alle. Er wollte darüber noch einmal gemeinsam mit mir nachdenken.«
Dupin hatte sich einiges in sein Clairefontaine notiert, Sauré schaute etwas angewidert auf das schlampig aussehende Heft. Dupin fuhr einfach fort.
»Hat er Ihnen die Geschichte des Bildes erzählt?«
»Nur ein wenig. Dass seine Großmutter Marie-Jeanne es von Gauguin selbst erhalten habe. 1894, bei seinem letzten Aufenthalt, als Dank für alles. Gauguin hat immer nur bei ihr gewohnt, nie bei Mademoiselle Julia. Vor allem aber, sagte Pennec, als Dank für die fast viermonatige Pflege nach der Schlägerei in Concarneau, als man
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