Bretonische Verhältnisse
gekommen? Mir schien, dass ihm dies sehr dringend war.«
Das war schon keine Frage mehr. Dupin verstand, worum es ging.
»Ich werde mich bei Ihnen melden, wenn Sie uns noch einmal behilflich sein könnten.«
Es dauerte etwas, bis Sauré antwortete.
»Ja, tun Sie das. Sehr gerne. Ich werde bis Ende der Woche hier zu erreichen sein. Voraussichtlich werden wir erst kommenden Samstag zurückfahren.«
Sauré brachte sie bis zur Tür und verabschiedete sie auf eine sehr formelle Weise.
Es hatte aufgehört zu regnen, immerhin, obgleich der Himmel immer noch ganz tief hing und dunkelgrau war. Dupin musste ein paar Meter gehen. Auch wenn er so schnell wie möglich zurück nach Pont Aven wollte.
»Gehen wir einmal um das Haus herum, ich meine andersherum zum Wagen zurück?«
»Gerne.«
Die Professorin wirkte immer noch fassungslos.
Sie bogen rechts in einen kleinen Weg ein, der am Haus der Saurés vorbeiführte, das man noch durch die dicke meterhohe Rhododendronhecke erspähen konnte, und gingen Richtung Meer. Erst als sie an den Klippen standen, sprachen sie.
»Das ist unglaublich. Wissen Sie, was das bedeutet? Diese Geschichte wird um die Welt gehen. In einem Restaurant eines französischen Provinznestes wurde ein bisher unbekannter Gauguin entdeckt, der dort über hundert Jahre unbemerkt hing und zu den wichtigsten Werken seines Œuvres gehört. Sein geschätzter Wert: vierzig Millionen. – Mindestens, würde ich jetzt sagen.«
»Und zwei Tote. Bis zur jetzigen Stunde zwei.«
Marie Morgane Cassel schaute verlegen.
»Das – Sie haben recht. Ja. Zwei Tote. Das tut mir leid …«
»Ich verstehe Ihre Begeisterung. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Wissen Sie, in meinem Beruf sehe ich auch immer die andere Seite. Die andere Seite der Dinge, die andere Seite der Menschen. Dafür bin ich da.«
Sie standen eine Weile schweigend nebeneinander. Dupin waren seine letzten Sätze etwas unangenehm.
»Was denken Sie? Kommt es Ihnen plausibel vor, was Monsieur Sauré erzählt hat?«
»Ja. Absolut. Das entspricht in allem den, wie soll ich sagen, den Gepflogenheiten der Kunstwelt, sein ganzes Verhalten, sein Vorgehen. Sein Denken. Wie er empfindet. Der ganze Mensch. Es ist eine eigentümliche Welt.«
»Charles Sauré hat Pierre-Louis Pennec nicht ermordet, denken Sie?«
Marie Morgane Cassel schaute den Kommissar einen Augenblick lang entgeistert an.
»Denken Sie, dass er das getan haben könnte, Commissaire?«
»Ich weiß es nicht.«
Sie schwieg.
»Aber Sie meinen, dass wir jetzt sicher davon ausgehen können, dass es ein echtes Bild gibt? Charles Sauré könnte sich nicht vertun?«
»Nein. Ich meine: theoretisch schon. Aber ich würde seinem Urteil – und seinem Gefühl vertrauen. Auf der ganzen Welt werden Sie wie gesagt keinen versierteren Experten finden.«
»Gut. Ich – ich vertraue Ihnen .«
Dupin lächelte, und Marie Morgane Cassel schien froh, ihn lächeln zu sehen.
»Dann haben wir es mit zwei Toten und dem Diebstahl eines vierzig Millionen teuren Gemäldes zu tun. Eines Gemäldes, das es offiziell gar nicht gibt. Wir haben nur Saurés – sagen wir: Einschätzung, dass es ein Original gibt und nicht bloß die Fantasie eines Kopisten – die jetzt im Restaurant hängt.«
Dupin machte eine Pause. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden.
»Welchen Beweis hätten wir, dass es nicht nur das Bild gibt, das im Restaurant hängt? Die kurze Begutachtung durch Sauré, sein sicheres Gefühl, dass es ein Original war, was er gesehen hat? Das reicht für nichts. Vor Gericht sowieso nicht. Wer immer das Bild jetzt hat, er kann sich seiner Sache ziemlich sicher sein. Er hat ein Bild gestohlen, das es gar nicht gibt – solange wir es nicht in den Händen halten und wissenschaftliche Gutachten bestätigen, dass es ein Gauguin ist.«
»Wem gehört das Bild jetzt eigentlich?«
»Madame Pennec. Seit heute Morgen ganz alleine ihr. Das ist eine ganz reguläre Erbschaft. Ihr gehört jetzt das Hotel und da es keine weiteren Verfügungen gibt, alles, was sich im Hotel befindet. Pierre-Louis Pennec ist nicht mehr zur Abänderung des Testaments gekommen.«
»Die Schenkung ist also hinfällig?«
»Das wird Madame Pennec zu entscheiden haben.«
Dupins Handy klingelte. Kadeg.
»Ich muss den Anruf annehmen. Gehen wir zum Wagen zurück.«
»Ja. Sollte ich nicht vielleicht von hier aus nach Brest fahren?«
»Ich nehme Sie noch ein Stück mit. – Kadeg?«
»Ja, Monsieur le Commissaire. Wir haben ein paar
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