Bretonische Verhältnisse
dringende Dinge. Wo sind Sie?«
»Ich stehe am Meer. In Carantec.«
»Carantec? Am Meer?«
»Genau.«
»Was machen Sie in Carantec?«
»Worum geht es, Kadeg?«
»Sie müssen sich bei Reglas melden. Er will Sie noch einmal persönlich sprechen. Ebenso Docteur Lafond. Beide erwarten Ihren Anruf – zeitnah.«
Kadeg wartete umsonst, dass Dupin etwas sagte.
»Wann werden Sie hier im Hotel sein? Wir haben Madame Lajoux und Delon gebeten, sich bereitzuhalten. André Pennec und Beauvois haben wir noch nicht erreichen können. Wen wollen Sie zuerst sehen nach dem Besuch bei Catherine Pennec?«
»Ich brauche einen Wagen«, Dupin überlegte, »zu einem der großen Kreisel bei Brest, am ersten Kreisel, wenn man von Morlaix kommt, nein, warten Sie, am besten am Océanopolis . Das ist am einfachsten. Der Wagen müsste Madame Cassel von dort zur Universität bringen.«
Dupin war schon viele Male im Océanopolis von Brest gewesen, da kannte er sich aus, er hatte die großen Aquarien immer schon geliebt, vor allem die Pinguine – und das Océanopolis von Brest war großartig.
»Madame Cassel ist bei Ihnen?«
»Sie muss um halb fünf an der Universität sein.«
»Sie müssen Riwal und mich dringend in Kenntnis setzen über den Stand der Ermittlungen.«
»Sie haben recht, Inspektor Kadeg. Sie haben ganz recht. Bis gleich.«
Dieses Mal waren sie gut durchgekommen, die Urlauber saßen noch in den Crêperien. Es hatte dreißig Minuten bis zum Océanopolis gedauert. Es war derselbe Polizist aus Brest mit demselben Wagen wie gestern, der auf Madame Cassel wartete. Madame Cassel und Dupin waren wieder nicht dazu gekommen, allzu viel zu reden, Dupin war wie auf der Hinfahrt die meiste Zeit am Telefon gewesen. Docteur Lafond, der auch mit der Untersuchung von Loic Pennec befasst war, hatte, wie immer, nicht viel gesagt; immerhin hatte er sich festgelegt, dass Loic Pennec bereits gestern Nacht gestorben war, nicht erst heute Morgen. Und dass – so wie es evident war – der Sturz die Todesursache gewesen war und es bisher keinerlei Hinweise auf eine Gewalteinwirkung oder Verletzungen Pennecs vor dem Sturz gab.
Reglas hielt daran fest, dass im Umkreis von Pennecs Fußabdrücken mit einer »gewissen Wahrscheinlichkeit« Abdrücke einer zweiten Person auszumachen seien, vor allem eben nahe des tödlichen Abgrundes. Festlegen konnte er sich jedoch nicht. Der Sturm und der heftige Regen hatten über Nacht alles weitgehend verwischt; zu befürchten sei, dass es auch nach weiteren Untersuchungen nicht mit Sicherheit geklärt werden könne. Es klang, schien es Dupin, nicht mehr so entschieden wie es im ersten Gespräch mit Riwal wohl geklungen hatte – oder aber der große Starforensiker wollte sich wieder wichtigmachen.
Und bisher hatte sich auch niemand gemeldet, der etwas Verdächtiges gesehen hatte, weder gestern Abend, an der Stelle, an der es passiert war, noch heute Morgen. Die Kollegen aus Pont Aven hatten systematisch begonnen, die Bewohner in der Umgebung zu befragen, aber noch keinerlei Hinweise erhalten. Dupin hatte auch hier nichts anderes erwartet; dies war kein Fall, der sich durch so etwas Banales wie Fingerabdrücke, Fußspuren, Textilfasern oder zufällige Augenzeugen lösen würde.
Kurz vor vier parkte Dupin seinen Wagen unten am Hafen, ganz in der Nähe der Villa der Pennecs. Es würde kein leichtes Gespräch werden.
Es dauerte lange, ehe Madame Pennec an der Tür war. Catherine Pennec war ihre schlimme Verfassung anzusehen, ihre Augen waren glasig, die Gesichtszüge starr, selbst die gestern noch so penible Frisur war vollkommen aufgelöst.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe, Madame Pennec, ich würde Sie gerne sprechen, wenn es Ihnen möglich ist. Ich weiß, es ist alles schrecklich und eine besondere Zumutung, dass ich Sie behellige.«
Catherine Pennec schaute Dupin mit ausdrucksloser Miene an.
»Kommen Sie herein.«
Dupin trat ein. Catherine Pennec ging ohne ein Wort zu sagen voraus, Dupin folgte ihr. Er setzte sich auf den Sessel, auf dem er schon gestern und vorgestern gesessen hatte.
»Ich habe Medikamente bekommen, ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin, ein präzises Gespräch zu führen.«
»Ich möchte Ihnen zuerst mein tiefstes Beileid aussprechen, Madame Pennec.«
Es war das zweite Mal innerhalb von achtundvierzig Stunden, dass er derselben Person sein Beileid aussprach. Es war gespenstisch.
»Ich danke Ihnen.«
»Das ist eine große Tragödie. So oder so.«
Madame Pennec hob
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