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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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aufgescheuchtes Huhn an ihr vorbei, weiter, nur weiter, Stockwerk um Stockwerk, hinaus auf die Straße und die Reinsburgstraße hinunter, ohne mich ein einziges Mal umzudrehen.

22. Kapitel
    Gemurmel dröhnt drohend wie Trommelklang,
gleich stürzt eine ganze Armee
die Treppe herauf und die Flure entlang,
dort steht das kalte Büffet.
Zunächst regiert noch die Hinterlist,
doch bald schon brutale Gewalt,
da spießt man, was aufzuspießen ist,
die Faust um die Gabel geballt.
Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund
kämpft jeder für sich allein
und schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund,
was immer hineinpasst, hinein
.
    Bei der heißen Schlacht am kalten Büffet,
da zählt der Mann noch als Mann,
und Auge um Auge, Aspik in Gelee,
hier zeigt sich, wer kämpfen kann, hurra!
    Ich lag mit einem Buch in der Hand auf dem Bett. In den letzten Wochen hatte ich viel Zeit mit Lesen verbracht. Es gab nur ein Kriterium bei der Auswahl meiner Lektüre: Heldin oder Autorin wurden von fremder Hand gemeuchelt, gingen ins Wasser oder wurden von Schwindsucht dahingerafft. Die Auswahl war groß. Virginia Woolf. Julia. Sturmhöhe. Sylvia Plath. Alfonsina Storni. Meine einzige körperliche Aktivität bestand darin, Seiten umzublättern und beim Tod der Heldin Papiertaschentücher vollzuheulen, die in niedlichen kleinen Häufchen neben dem Bett lagen.
    Ich bewegte mich so wenig, dass ich sogar angefangen hatte zuzunehmen. Plötzlich hatte ich runde Hüften. Lila registrierte es mit Erstaunen und fand, dass es mir stand. Mir war es völlig egal. Ich war sowieso meist im Schlafanzug, deshalb war es auch kein Problem, dass meine Hosen plötzlich zu eng waren. Lila drängte mich, irgendeinen Job anzunehmen. Sie glaubte, Arbeit und ein geregelter Tagesablauf würden meine Rettung sein und dann würde ich endlich wieder anfangen zu leben. Ich war mir da nicht so sicher. Die Oktobertage waren für die meisten Menschen golden gewesen. Ich hatte sie überwiegend auf einer Bank sitzend im Schlosspark verbracht. Für mich war entweder
Red Eyes Day
oder
Heul-your-heart-out-Day
.
    Am Tag unserer Trennung war Leon abends noch einmal in Lilas Häuschen aufgekreuzt. Ich lag flennend auf meinem Bett und weigerte mich, ihn zu sehen, obwohl Lila alle ihre Überredungskünste anwendete. Den langstieligen roten Rosen, die ich in der Küche vorfand, riss ich einzeln die Köpfe ab. Die dazugehörige riesige Karte schnipselte ich mikroskopisch klein, ohne sie vorher zu lesen, und mischte sie der Katze ins Futter, zusammen mit dem Zeitungsausschnitt aus der
Hamburger Morgenpost
. Das »Foto der Woche« zeigte eine Frau, die offensichtlich gerade ein Kartoffelsalat-Bad nahm, während sich im Hintergrund ein Trupp Ruderer kaputtlachte.
    Seither hatte es zwischen Leon und mir keine direkten diplomatischen Beziehungen gegeben. Ein paar Wochen nach unserer Trennung war ein dicker Brief von Leon in der Post. Ich fasste ihn mit spitzen Fingern an, rannte panikartig ins Klo und spülte ihn hinunter. Hinterher heulte ich wie ein Schlosshund und bereute es fürchterlich.
    Dorle und Lila redeten mir immer schön abwechselnd ins Gewissen, Leon noch einmal eine Chance zu geben. Dorle hatte den Seitensprung zunächst streng verurteilt und sich dann auf die jederzeit mögliche himmlische und irdische Vergebung für reuige Sünder berufen. Lila argumentierte, man müsse sich einfach damit abfinden, dass der Mann an sich schwach war und einer starken weiblichen Hand bedurfte. Es sei reichlich dämlich von mir, Yvette den Triumph zu gönnen, der Sargnagel meiner Beziehung zu sein. Aber der Gedanke an Leons Verrat tat so unendlich weh! Außerdem würde er weiter mit Yvette zusammenarbeiten und täglich bei Bosch ihren Reizen ausgesetzt sein. Sie würde zufällige Treffen in Tiefgaragen und Aufzügen arrangieren. Es war jedoch nicht die Untreue allein. Wir passten einfach nicht zueinander! Ich würde darüber hinwegkommen. Irgendwann, so in zehn, zwölf Jahren.
    Von Zeit zu Zeit beschlich mich das Gefühl, einen riesigen Fehler gemacht zu haben. Aber jedes Mal, wenn ich versuchte, darüber nachzudenken, war es so, als ob tief in meinem Inneren eine Tür zuschlüge. Einmal wachte ich mitten in der Nacht auf. Ich hatte von Leon geträumt. Er hatte mich geneckt und mit seinem typischen Leon-Grinsen angegrinst. Der Traum war so real gewesen, dass ich automatisch die Hand unter der Decke nach ihm ausstreckte, und als ich begriff, dass ich nur geträumt hatte, verspürte ich so

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