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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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nicht »Uff dr schwäb’sche Eisebahne« spielen? Wir kletterten die Rathaustreppe hoch. Menschen, die wahrscheinlich in 29 Minuten wieder im Haupt- und Personalamt oder auf der Bußgeldstelle sein mussten, hetzten an uns vorbei.
    »Ich wusste gar nicht, dass es im Rathaus so viele Empfänge gibt«, sagte ich.
    »Es ist natürlich weniger geworden. Wegen der Krise. Aber es gibt immer noch Tagungen und Kongresse. Die Empfänge der Stadt stehen im Amtsblatt, das hängt an der Haltestelle Stadtmitte aus. Und dann gibt es Empfänge von Vereinen, die das Rathaus nutzen. Oder die Neujahrsempfänge der Rathausfraktionen. Wahlpartys. Die IHK. Der Deutsche Marinebund. Der Bürgerempfang für Ehrenamtliche. Beim Portugiesischen Nationalfeiertag gab’s ein Fado-Konzert und anschließend Portwein und Häppchen. Beim Christopher Street Day Brezeln und Sekt. Mai 2007, Meisterfeier für den VfB. Aber der schönste Empfang war der für den Alt-OB, Weihnachten 2008. Da habe ich Lothar Späth, Erwin Teufel und Walter Schultheiß die Hand gedrückt. Die fragen ja nicht, wer sind Sie, weil man könnte ja wichtig sein. Ein paar hübsche junge Mädchen haben Querflöte gespielt im Großen Sitzungssaal, Rommel wurde im Rollstuhl hereingerollt und anschließend gab’s Maultaschen und Trollinger. Bloß zu den Veranstaltungen gegen Stuttgart 21 gehe ich nicht mehr, da gibt’s nichts zu holen. Aber wenn Mehdorn, Drexler, Grube kommen, da fließt der Sekt in Strömen und auch an Lachsbrötchen wird nicht gespart.«
    »Wow«, sagte ich, beeindruckt von so viel Insiderwissen.
    Leider schien mein Begleiter von praktischen Beförderungshilfen wie dem Paternoster nichts zu halten und marschierte in flottem Tempo die weiß-schwarz marmorierten Treppen hinauf. Trotz seiner langen Rede war er nicht außer Puste.
    Ich schon. »Haben Sie nie Ärger bekommen?«, keuchte ich.
    Er sah mich erstaunt an. »Ärger? Nein. Wieso? Ich bin ja auch nicht immer da. Oft muss ich in Berlin sein, wie Sie sich bestimmt vorstellen können.«
    »In Berlin? Haben Sie da Familie?«
    Er trug einen ordentlichen, aber ziemlich abgewetzten Anzug und sah nicht so aus, als ob er sich regelmäßige Berlinfahrten leisten konnte, bei den Bahn-Preisen.
    »Natürlich habe ich da Familie«, lächelte er. »Wir sind wie eine große Familie bei den Philharmonikern. Mahlers Neunte. Wir haben alle geweint.«
    Ich war noch damit beschäftigt, diese rätselhaften Informationen zu verarbeiten, als eine Frau mit federnden Schritten die Treppe herunterkam. Von irgendwoher kannte ich sie.
    »Ach, Sir Simon«, sagte sie freundlich, drückte meinem Begleiter die Hand und zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Auch mal wieder hier?«
    »Frau Müller-Trimbusch, schön, Sie zu sehen. Geht’s gut?«
    Sie nickten einander zu, dann huschte die Frau weiter.
    »Sir Simon?«, fragte ich erstaunt.
    »Entschuldigen Sie, wo bleiben meine Manieren! Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Sir Simon Rattle.« Er gab mir ebenfalls die Hand.
    »Pipeline Praetorius«, sagte ich und lächelte in mich hinein.
    Mittlerweile hatten wir es in den zweiten Stock geschafft.
    Plötzlich hörten wir Rufe: »Hallo! Hallo!« Eine männliche Stimme.
    Wir liefen um den elektrischen Aufzug herum, der uns die Sicht versperrte, und blickten auf den Paternoster am Ende des Flurs wie auf einen Fernseher. Der Nachrichtensprecher sah etwas hilflos aus. Der Paternoster bewegte sich nicht, und unterhalb des linken Ausstiegs steckte ein Mann fest, den man nur von der Hüfte an aufwärts sehen konnte.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte ich, als wir den Paternoster erreicht hatten.
    Der Mann lachte und nickte. »Das wäre sehr freundlich. Ich soll da oben nämlich eine Rede haltn, und wer weiß, wann dieses alte Dings wieder fährt. Ohne mich gibt’s nämlich nichts zu futtern.«
    Ich kannte diesen Tonfall. Der Mann kam aus Hamburch. Ich unterdrückte den Impuls, ihn im Paternoster verhungern zu lassen. Andererseits war es auch keine wirkliche Lösung, bis ans Ende meines Lebens zu allen Hamburgern garstig zu sein, die mir begegneten.
    Sir Simon positionierte sich auf der einen und ich auf der anderen Seite des Paternoster-Ausstiegs. Wir packten den Mann unter den Armen und zerrten und zogen. Leider war er ziemlich dick und schwer und seine kurzen Stummelbeine taugten nicht gerade zum Klettern. Zudem hielt sich sein eigenes Engagement in Grenzen.
    Endlich hatten wir ihn befreit. Ich schnappte nach Luft. Sir Simon dagegen schien kein bisschen

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