Brezeltango
mir dran.«
Das war ja eigentlich nicht sehr schmeichelhaft. Andererseits hatte Tarik recht. Langsam war Schluss mit der Herbstdepression. An der litt erstaunlicherweise auch das Katastrophen-Gen. Seit der Trennung ließ es mich in Ruhe. Ich war gespannt, wie lange das anhalten würde.
»Na schön, ich komme mit.«
»Endlich! Wusste ich doch, dass du irgendwann meinem unwiderstehlichen türkischen Charme erliegst.«
»Vorausgesetzt, ich finde bis dahin was zum Anziehen. Ich hab zur Zeit ein kleines Klamottenproblem.«
»Dann kauf dir einfach was Schwarzes. Ich trage immer schwarz. Im Sommer trage ich schwarze T-Shirts, im Herbst schwarze Langarm-T-Shirts und im Winter schwarze Rollkragenpullover. Wenn’s superoffiziell ist, trage ich ein schwarzes Jackett drüber.«
Wir verabredeten uns direkt in der Galerie in der Reuchlinstraße im Westen. Unglaublich. Zum ersten Mal seit Wochen hatte ich ein Date. Mit einem aufregenden, fantastisch aussehenden Mann, der nicht Leon hieß und hinter dem die halbe Stuttgarter Frauenwelt her war! Fing jetzt mein Leben wieder an? Ich zog Mütze und Handschuhe über und radelte hinunter zum Charlottenplatz. Noch zwei Tage, um neue Klamotten zu kaufen. Ich konnte ja einen klitzekleinen Blick in die Klamottenabteilung von Karstadt werfen, bevor ich in die Stadtbücherei ging. Brav schob ich das Rad durch die Karlspassage und versuchte, nicht an Leon zu denken. Der Sicherheitsmann tat so, als würde er mich nicht wiedererkennen.
Ich stellte das Rad auf dem Marktplatz ab. Es war einfach wunderbar, über den asphaltierten und nahezu baumlosen Platz zu bummeln, wenn man jahrelang im zubetonierten Stuttgarter Westen gewohnt hatte. Neben den grünen Stühlen des Café
Scholz
, das sich rühmte, die kleinsten Croissants der Stadt auf der Karte zu haben, stand ein Straßenverkäufer und pries die Straßenzeitung
Trott-war
an.
»Darf es etwas Schönes zum Lesen sein, die Dame?«, fragte er mit einem sehr breiten und sehr freundlichen Lächeln. Er ging bestimmt schon auf die sechzig zu, aber zwei Dinge unterschieden ihn fundamental von seinen Altersgenossen: Er hatte eine Menge Haare auf dem Kopf und keinen Bauch. Die auffallend dichten Locken verliehen ihm ein jungenhaftes Aussehen, obwohl sie silbergrau waren und seinen Kopf wie einen Heiligenschein einrahmten. Es gab irgendjemanden aus der Musikszene, der so aussah. Angelo Branduardi? Ich drückte ihm zwei Euro in die Hand und winkte ab, als er mir zusammen mit der Zeitung das Kleingeld zurückgeben wollte.
»Sind Sie sicher? Sie sehen eigentlich aus, als ob Sie das Geld selber gebrauchen könnten.«
Ich seufzte. Offensichtlich hatte ich schon einen panischen Auch-mir-droht-Hartz-IV-und-ich-steh-bald-selber-hier-Blick in den Augen und Lilas Pumphose machte es auch nicht besser.
»Ich bin arbeitslos, das stimmt. Aber noch krieg ich Arbeitslosengeld.«
»Sie machen außerdem den Eindruck, als ob Sie nicht genug zu essen bekommen, wenn ich das mal so sagen darf.«
Ich lachte und winkte ab. »Keine Sorge, ich war schon viel, viel dünner. Zur Zeit futtere ich, dass es kracht.«
»Trotzdem. Haben Sie Hunger?« Er packte seine Straßenzeitungen in eine speckige Aktentasche.
»Immer. Wieso?«
»Lassen Sie sich einfach überraschen.« Er marschierte los und winkte mir, ihm zu folgen.
Ich war mir nicht ganz sicher, auf was das hinauslaufen würde. Andererseits hatte ich tatsächlich Hunger und so eilig war’s mit den Klamotten und den Bewerbungen nun auch wieder nicht, nachdem ich mich seit vielen Wochen nicht darum gekümmert hatte.
Der Mann steuerte das Rathaus an.
»Können im Rathaus nicht nur die Angestellten essen?«
Er lächelte unverbindlich. »Schon, aber ich kann Ihnen was Besseres bieten. Wir gehen zu einem Empfang.«
»Empfang? Was für ein Empfang?«
»An den Tagen, an denen ich auf dem Marktplatz verkaufe, gehe ich morgens erst mal ins Rathaus und schaue, ob sich da etwas tut. Baut der Catering-Service gerade im vierten Stock auf, dann ist meistens eine Veranstaltung im Großen Sitzungssaal einen Stock tiefer. Ich frage dann die Leute vom Catering, für wann die Pause geplant ist.« Er deutete auf die Uhr des Rathauses. »Heute wird um zwölf Uhr ein kleiner Imbiss gereicht. Man darf natürlich nicht schon vorher dort oben herumstehen wie bestellt und nicht abgeholt.«
Es war kurz nach zwölf. Das Glockenspiel des Rathauses intonierte »Uff em Wase graset d’ Hase«. Na, das passte ja großartig. Warum konnte es
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