Brezeltango
hinbrummende junge Kerls und pinkelten. Ich hastete nach links. Der Fuß schmerzte. Wenn ich Leon noch abpasste, konnten wir wenigstens zur Versöhnung noch eine Runde Riesenrad fahren! Und eine Schokobanane essen! Oder gebrannte Mandeln! Endlich war ich am Bahnhof, suchte das S-Bahn-Gleis und humpelte die Treppen hinauf, halb geschoben von der Menge. Der Bahnsteig war voller Menschen. Leon hier zu finden, war praktisch unmöglich. Allmählich war ich mit meinen Nerven am Ende. Ich würde einfach die nächste Bahn zur Schwabstraße nehmen. Hoffentlich erwischte ich Leon wenigstens beim Aussteigen!
Und dann – sah ich sie. Inmitten des Durcheinanders auf dem S-Bahnsteig, inmitten der schubsenden, grölenden, übel riechenden, schunkelnden Menge, der Luftballons, Plüschbären und Lebkuchenherzen, sah ich, etwa zehn Meter entfernt, Leon und Yvette. Von Leon sah ich nur den Rücken, der in einem lächerlichen rotkarierten Hemd steckte, mit Hosenträgern darüber. Und seine Arme. Sie wanderten gierig über Yvettes Körper, über ihren Rücken und ihren Hintern und ihre Brüste, die drall und keck aus einem Rüschenblüschen herausstanden, das mehr offenbarte als verbarg. Yvette brauchte keine türkischen Melonen. Sie trug ein superkurzes supersexy Dirndl und war damit beschäftigt, sich befummeln zu lassen und mit ihren Lippen an den Lippen von Leon zu kleben, ohne dabei die Augen zu schließen. Leon wirkte nicht so, als hätte Yvette ihn zum Küssen überreden müssen. Wahrscheinlich war er sturzbesoffen, aber was änderte das?
Und in diesem Augenblick sah ich, dass Yvette mich sah. Ich sah nicht nur, ich spürte geradezu den Moment, in dem sie mich erkannte und sich der Blick in ihren Augen in Triumph verwandelte. Sie hörte nicht auf, Leon zu küssen und mich dabei anzuschauen. Es war so unendlich demütigend. Dann fuhr die S-Bahn ein und löste ein Riesendurcheinander aus. Die Menge wich erst einen Schritt zurück, dann drängelte alles in die Abteile. Sekunden später hatte ich Leon und Yvette aus den Augen verloren. Der Bahnsteig war leer. Zurück blieben zerknüllte Papierservietten, Zigarettenkippen, ketchupbeschmierte Pommes-Frites-Schalen und ich.
21. Kapitel
Did I disappoint you
Or leave a bad taste in your mouth?
You act like you never had love
And you want me to go without
.
Well, it’s
Too late
Tonight
To drag the past out
Into the light
.
Unter mir lag die Stadt. Ich sah die blinkenden Lichter der Fahrgeschäfte, den Gaskessel, die Kapelle auf dem Württemberg, schemenhaft, und das Schwimmbecken des Leuze. Wie lange war das her, dass ich mit Leon dort schwimmen war?
Neben mir versuchten ein paar Bekloppte mit Filzhüten, ihre Gondel durch Schaukeln zum Kentern zu bringen. Ich hatte darauf bestanden, eine Gondel für mich alleine zu haben. Ich wollte in aller Ruhe heulen. Mit Leon hatte ich hier im Riesenrad sitzen wollen, Händchen haltend. Ich hatte es mir so romantisch vorgestellt. Pech gehabt, Katastrophen-Line.
War jetzt alles vorbei? Waren Leon und Line jetzt Geschichte? Oder würde Leon rechtzeitig zu sich kommen, bevor er mit Yvette im Bett landete? Warum gab es so schreckliche Weiber wie Yvette, die sich darauf spezialisiert hatten, das Glück anderer zu zerstören? Langsam drehte sich das Riesenrad weiter. Nein, das konnte einfach nicht sein. So schnell war eine Beziehung wie unsere nicht am Ende. Leon war vielleicht einen Moment schwach geworden, nach drei Maß Bier. Er trank sonst nicht viel. Er würde, ganz Kavalier, Yvette zu Hause an der Wohnungstür abliefern, weitere Avancen höflich, aber bestimmt abwehren und dann in seine eigene Wohnung fahren.
Ich hatte keine Ahnung, wo Yvette wohnte. Garantiert in Halbhöhenlage, dort, wo man um diese Zeit nur noch mit dem Bus oder einem Taxi hinkam. Das konnte dauern. Ich würde in der Reinsburgstraße auf Leon warten und ihm seine Knutscherei großherzig verzeihen. Wir würden aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Alles würde gut werden. Es musste einfach!
Eine Stunde später stand ich vor Leons Wohnungstür. Alles war still. Was, wenn ich Leon und Yvette im Bett antraf? Mit zitternden Fingern drehte ich den Schlüssel im Schloss. Die Wohnung war dunkel. Keine in wilder Leidenschaft zerfetzte Rüschenblüschen oder String-Tangas im Flur. Ich schlich ins Schlafzimmer. Das Bett war perfekt gemacht. Niemand machte Betten wie Leon. Wenn Bosch ihn mal nicht mehr wollte, konnte er sich immer noch als Zimmermädchen beim Schlossgartenhotel
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