Brezeltango
wollte dir niemals wehtun. Ich war nur so ... enttäuscht. Du wirktest so unentschieden in letzter Zeit. Als ob du nicht ganz sicher bist, dass du mich wirklich haben willst. Und das Dirndl war für mich wie ein Symbol … wie ein Zeichen, dass du nicht zu mir stehst. Und ich hätte so dringend ein Zeichen von dir gebraucht, nach der seltsamen Geschichte mit diesem Tangotänzer.«
Ich schwieg. Die Tränen liefen mir übers Gesicht.
Leon nahm meine Hände. »Als ich dich im Zug gefragt habe, was du an mir magst, und du sagtest, mein knackiger Po ... Das ist doch irgendwie ein bisschen wenig, oder? Und dann läuft irgendwann ein intellektueller Typ vorbei, der einen knackigeren Po an sich dranhängen hat, und du bist weg?«
»So war das doch nicht gemeint! Ich dachte, du weißt, was ich an dir mag«, schluchzte ich. Jetzt war es sowieso zu spät für Liebeserklärungen.
»Line, ich weiß, dass das alles keine Rechtfertigung ist. Aber ich hatte solche Sehnsucht nach dir, und dann hat Yvette mich angebaggert, und ich war sturzbetrunken, Line, ich bitte dich ... von ganzem Herzen ... verzeih mir! Bitte! Ich war ein Riesenidiot. Lass uns eine gemeinsame Wohnung suchen. Einander besser kennenlernen. Und vielleicht ... irgendwann ... wenn du mich noch haben willst ...«
»Nein«, schluchzte ich. »Ich kann nicht.«
»Was kannst du nicht?«, flüsterte Leon. »Mir sofort verzeihen? Dann nimm dir ein paar Tage zum Nachdenken. Sagen wir, wir treffen uns in einer Woche. Ich werde vermutlich bis dahin Stricke und Tabletten kaufen, aber wenn du Zeit brauchst, dann warte ich.«
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, flüsterte ich. »Nein, Leon. Wir beide, das ist ein einziger Irrtum.«
»Ein Irrtum? Was soll der Quatsch?«
»Du bist Schwimmen, Joggen und Mountainbiken. Ich bin Ausschlafen und Nostalgie-TV. Du bist Ordnung, ich bin Chaos. Du bist Himmel und Erde und Tote Oma, und ich bin Maultaschen und Kartoffelsalat und Laugenweckle. Du bist Hamburg, ich bin Stuttgart. Du bist Kicker, ich bin Schiller. Du bist brav und gutbürgerlich. Und ich bin wild und gefährlich.«
»Line, das ist der größte Schwachsinn, den ich in meinem ganzen Leben gehört habe«, rief Leon wütend. »Wild und gefährlich, das bist du doch nur in deinen Fantasien! Und ich habe dich noch nie mit einem Schiller in der Hand gesehen. Gegensätze ziehen sich an, und man kann sich Unterschiede auch einreden. Man muss eben Kompromisse machen!« Leon sprang auf und lief erregt auf und ab. »In Wahrheit willst du dich nicht auf mich festlegen. Du willst dir alles offenlassen! Ist es dieser Tangotänzer?«
»Nein. Vielleicht. Ich weiß es nicht.«
»Line, lass uns jetzt nicht so auseinandergehen. Wir gehören zueinander.
I weiß es einfach!
« Die letzten Worte brüllte er.
»Wenn wir zusammengehören würden, hättest du mich nicht betrogen. Es tut mir leid«, flüsterte ich, »ich kann nicht. Es geht nicht. Es ist vorbei.«
Leon stand vor mir und sah mich an. Einen Moment lang sah er aus, als ob er gleich meine nackten Schultern packen und mich schütteln würde. Und dann war da nur noch ein Blick von so unendlicher Traurigkeit, dass es mir beinahe das Herz zerriss.
»Du meinst das ernst, oder?« Es klang sehr müde.
Es kostete mich alle Überwindung der Welt. »Ja«, flüsterte ich.
»Du liebst mich also nicht. Dann wünsche ich dir alles Gute. Vielleicht kann dich ein anderer glücklich machen. Aber irgendwie glaube ich nicht daran.« In seinen Augen standen Tränen. »Falls du es eines Tages bereust – mir verzeihst – ich warte auf dich.« Er wandte sich ab.
Ich stand auf, zerrte die abgeschnittene Jeans und das T-Shirt aus meiner Umhängetasche und warf den Wohnungsschlüssel aufs Bett. Ich wusste nicht, wo meine Unterhose war, und es war mir auch egal. Ich schlüpfte in die Kleider. Das Dirndl ließ ich liegen. Leider hatte ich kein Streichholz in der Tasche, um es anzuzünden. Ein kleiner Zimmerbrand hätte mir den Abgang erleichtert. Ich ging an Leon vorbei, ohne ihn anzusehen. Der Schmerz, dass etwas unwiederbringlich zu Ende gegangen war, hing zwischen uns wie eine unsichtbare, tieftraurige Wolke. Wir hatten etwas verloren. Und würden es nie wiederfinden. Bloß raus hier, so schnell wie möglich! Die Wohnungstür fiel hinter mir ins Schloss. Es gab kein Zurück.
»Ja, guda Morga, Frau Praetorius, Sie sen aber frieh uff!« Frau Müller-Thurgau stand rauchend in ihrer Tür.
Ich grüßte nicht. Ich rannte wie ein
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