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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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man hatte die alten Messehallen abgerissen. Hinter dem hohen Bauzaun würde ein Investor nach und nach exklusive Wohnungen und Einkaufsmeilen auf das Gelände klotzen.
    Ich war noch nie bei Tarik gewesen. Er wohnte nicht weit von der Kunstakademie, »weil ich ziemlich faul bin«, wie er mir irgendwann mal am Telefon erzählt hatte. Das war ja auch wirklich nicht die schlechteste Lage – der Blick reichte weit hinaus bis ins Neckartal und sicher wohnte in den begehrten Häusern der Weißenhof-Siedlung eine überdurchschnittliche Anzahl von Künstlern und Intellektuellen, die abends zusammenhockten, rauchten und tranken. Wie damals in Paris! Ich lief an einer Architekturgalerie vorbei zu den Wohnblöcken am Ende der Straße und fand nach ein paar Minuten die richtige Hausnummer. Auf der Klingel stand »Tarik«. Sonst nichts.
    Ich klingelte. Nichts geschah. Ich wartete einen Moment, falls Tarik im Bett lag und sich erst zur Sprechanlage schleppen musste. Dann klingelte ich wieder. Und wieder. Endlich ging der Türsummer und ich landete in einem schmalen Treppenhaus. Die Stufen waren steil. Im dritten Stock ging mir die Luft aus. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, in welchem Stock Tarik wohnte. Alles war still und nirgends stand eine Wohnungstür einladend offen. Im obersten Stockwerk blieb ich ratlos stehen. Wo war Tarik?
    »Tarik, hallo! Ich bin’s, Line! Wo bist du?«, rief ich und fühlte mich reichlich doof dabei.
    »Hallo, Line«, hörte ich schließlich eine schwache Stimme von oben.
    So klang nur jemand, der Hilfe brauchte. Aber jetzt kam Line, die barmherzige Samariterin! Blöd, dass mein Rot-Kreuz-Kurs für den Führerschein schon so lang her war. Eine schmale Stiege führte ins Dachgeschoss und ich kletterte hinauf. Tarik lehnte am Türrahmen, die verquollenen Augen halb geschlossen. Die Arme und die wirren Haare waren voller verkrusteter weißer Stellen.
    »Hallo, Tarik«, sagte ich alarmiert. »Bist du krank?«
    Tarik trug nichts außer auf Halbmast hängende, schwarz glänzende Boxershorts. Der Rest waren beeindruckende Muskeln, dichte Behaarung auf breitem Brustkorb und Lederbändchen. Ganz schön animalisch für einen Künstler. Meine Knie wurden weich.
    »Hallo«, sagte er schwach. »Nein, ich bin nicht krank. Ich habe nur die ganze Nacht hier oben im Atelier durchgearbeitet. Bis zum Umfallen. Ich hab auf dem Teppichboden geschlafen.«
    »Du hast mich versetzt!«, rief ich aus. »Wir waren verabredet, und ich stand völlig allein auf dieser blöden Vernissage herum und habe stundenlang Wattestäbchen, Zahnbürsten und Prothesen angeschaut!«
    »Ach, herrje«, murmelte er. »Tut mir leid. Mich hat letzte Nacht die Muse geküsst und darüber habe ich alles vergessen.«
    »Ich dachte, ich bin deine Muse, und ich habe dich definitiv nicht geküsst!«, rief ich empört.
    »Das lässt sich ändern«, sagte Tarik munter.
    Innerhalb einer Tausendstel Sekunde kam Leben in seinen schlaffen Körper, er zog mich über die Schwelle und küsste mich. Ich war vollkommen überrumpelt. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals
so
geküsst worden zu sein. Es war ziemlich schwierig, dabei nicht an Leidenschaft und Atemnot zu sterben. Mein Verstand setzte aus. Wir taumelten in das Atelier. Irgendetwas polterte schwer zu Boden. Tariks mächtige Pranken waren überall, sie streichelten und kneteten und zerrten ungeduldig an meinem Kleid, seine kratzige Backe fuhr über meine nackte Haut. Dann hatte ich wieder dieses Alien-Gefühl. Meine Füße rutschten einfach weg und plötzlich lag ich auf dem Teppichboden und hatte nicht mehr allzu viel an. Tarik kniete schwer atmend vor mir. Er zog mir die Stiefel und die Feinstrumpfhose von den Beinen und küsste meine Fußsohlen.
    »Hör sofort damit auf!«, kicherte ich.
    Tarik ließ von meinen Füßen ab und arbeitete sich mit Händen und Lippen langsam an meinen Beinen nach oben. Ich fing an zu keuchen.
    »Du bist sooo sexy«, raunte er. »Ich hab dich ganz anders in Erinnerung.«
    »Leon«, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf.
    »Vorbei«, flüsterte eine andere.
    Ich entschied mich für Stimme Nummer zwei und warf ekstatisch meine Arme nach hinten. Sie landeten in einer feuchten, klebrigen Masse. Entsetzt riss ich die Arme wieder nach vorne. Sie sahen aus, als seien sie in einen Farbeimer gefallen.
    »Igitt! Was ist das denn?«
    »Gips. Damit habe ich gearbeitet.«
    »Das ist ja widerlich! Ich bin total eingesaut! Hast du kein Bett?«
    »Lass uns nach unten gehen«, keuchte

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