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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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Haaren in die Küche. Sie machte eine Vollbremsung, riss ihren Parka auseinander, als sei sie ein Flitzer auf dem Fußballplatz, und brüllte: »Viva la Revolución!« Unter dem Parka trug sie ein grünes T-Shirt mit dem berühmten Che-Guevara-Konterfei. Darunter war »Guerilla Gardening Group Sektion Schwaben« zu lesen. Neben dem Schriftzug war ein Gänseblümchen aufgedruckt. Dann riss sie mit Schwung das T-Shirt so weit hoch, dass man ihren straffen Bauch und ihre nackten prallen Brüste sehen konnte. Um ihren Nabel war eine Weltkugel eintätowiert. Unter dem Busen über der Arktis stand »Bloß« und unter der Antarktis »geborgt«. Sie spazierte mit hochgezogenem T-Shirt von einem zum anderen, als sei sie ein Pfau. Haralds Augen bekamen etwas Glubschiges. Tarik blickte interessiert auf Melanies Brüste und schielte nach seinem Camcorder.
    »Hallole! I ben d’ Melanie ond a Fraindin von dr Muddr Erde. I han eich älle a T-Shirt mitbrocht. Wega ’m Grubbegfühl!« Sie wühlte in ihrem gestreiften Stoffbeutel und warf Lila, Harald und mir je ein T-Shirt zu. »Von dir han i nix gwissd«, sagte sie zu Tarik.
    »Und ich?«, sagte Lena enttäuscht.
    Melanie warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Du bisch doch no a klois Kendle! Du gohsch jetz schee ens Bettle!«
    »Das ist kein Kind«, sagte ich. »Das ist meine Nichte Lena, und sie kommt mit. Du kannst mein T-Shirt haben, Lena.«
    »Nein, sie kriegt meins«, sagte Lila. »Es ist mir sowieso viel zu klein.«
    »Wehe, du verzehlsch des deiner Mama!«, rief Melanie drohend.
    Lena gab Melanie den vernichtenden Blick von vorhin zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte finster: »Melanie, weißt du was? Ich find dich blöd. Auf einer Skala von eins bis zehn finde ich dich zehn blöd.«
    »Jetzt streitet euch nicht!«, rief Lila streng. »Wir können im Vorfeld keine negativen Schwingungen brauchen!«
    Wir zogen unsere T-Shirts über. Bei Harald reichte es nur knapp über den Bauch, während es Lena bis zu den Knien ging. Eigentlich brachte das nicht so wirklich etwas für das Gruppengefühl, weil wir wegen des feuchtkalten Herbstwetters dicke Jacken drüberziehen mussten.
    »Wer bisch ’n du iberhaubd?«, sagte Melanie herausfordernd zu Tarik, der die Anzieh-Aktion gefilmt hatte.
    Tarik legte die Kamera weg, straffte die Schultern und strich sich mit einer dramatischen Geste die Haare zurück. Dann breitete sich ganz allmählich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Seine dunklen Augen blitzten, er beugte sich vor zu Melanie und hauchte mit einer Stimme, die nach sehr großem Bett klang: »Gestatten: Tarik. Künstler.«
    Lila und ich sahen uns an. Das war besser als Kino.
    Melanie war so rot geworden wie ihre Haare und sagte schwach: »Vielleicht könnt i ja bei dir mitfahra?«
    Tarik hob bedauernd die Schultern. »Leider, ich mache nur die Dokumentation. Wenn jemand bei mir mitfährt, ist es nicht authentisch. Aber ich fahre dich gerne heute Nacht nach Hause.«
    Melanie wurde noch röter. »Danke, i hab a Audo. Mir missad no omlada«, sagte sie.
    »I helf dir«, sagte Harald.
    »Also los!«, rief Lila. »Nehmt die Kisten mit den Samenbomben und verteilt sie auf beide Autos. Vergiss deinen Schal nicht, Lena!«
    Es nieselte. Die Neuffenstraße lag verlassen da. Hinter den Fenstern brannten heimelige Lichter. Wer war schon so bekloppt, bei diesem Wetter vor die Tür zu gehen? Zum Glück würden wir im Auto bleiben. Nach unserer Rundfahrt wollten wir noch eine Mitternachtssuppe essen, die Lila vorbereitet hatte. Ich freute mich schon darauf! Harald begleitete Melanie zu einem VW Käfer von der Sorte, wie sie heute nicht mehr gebaut wurden. Nach ein paar Minuten kam er mit einem großen Weidenkorb zurück. Er war bis obenhin voll mit Pflanzen. Melanie schleppte einen Sack mit Erde.
    »Ökologischer Komboschd ohne Torf«, erklärte sie.
    »Ich dachte, wir sitzen gemütlich im Auto und werfen die Bomben aus dem Fenster!«, protestierte ich.
    »Mit Gemitlichkeit alloi kosch d’ Welt net bessr macha!«, rief Melanie aus. »Fir d’ Revolutio musch Opfr brenga!«
    »Wir machen noch einen kleinen Ausflug zum Marienplatz«, erklärte Lila. »Da haben sie vor Jahren die ganzen alten Bäume abgeholzt, und die nachgepflanzten Kastanien sind noch furchtbar mickerig. Samenbomben kann man da komplett vergessen, weil der Platz total zubetoniert ist. Da geht nichts auf. Deshalb pflanzen wir um die Kastanien herum Stiefmütterchen, Primeln, Hornveilchen und

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