Brezeltango
heute noch vorbeikommen und sich vorstellen?«
Mir fiel beinahe das Telefon aus der Hand vor lauter Aufregung. Ich machte den Mund auf, aber es kam nichts heraus.
»Hallo? Sind Sie noch da?«, fragte die Frau ungeduldig.
»Ja! Ja! Ich bin nur ... etwas überrascht. Überrumpelt«, rief ich aufgeregt. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich so schnell melden. Natürlich kann ich heute noch vorbeikommen!«
»Sehr gut. Sie wohnen im Osten? Wir sitzen im Heusteigviertel. Können Sie in einer Stunde hier sein? Wir bekommen später noch Kundenbesuch, dann kriege ich Sie nicht mehr unter.«
In einer Stunde? Ich war nicht geduscht. Ich war nicht angezogen. Ich hatte nichts gegessen. Ich hatte einen Bad-Hair-Day. Irgendwie kam mir das bekannt vor.
»Ja, natürlich, gar kein Problem«, sagte ich.
»Gut.« Sie gab mir die Adresse durch, die ich mit zitternden Fingern notierte.
Jetzt musste die Pipeline-Praetorius-Prioritätenmaschine angeworfen werden! 60 Minuten. Mit dem Rad konnte ich in 15 Minuten im Heusteig sein. Nein, dann würde ich verschwitzt und zerzaust ankommen. Lieber öffentlich. 25 Minuten? Blieben 35 Minuten zum Duschen, Anziehen, Essen. Das war doch gar kein Problem! Ich durfte mich nur nicht ablenken lassen! Aber erst mal musste ich kurz Lila anrufen. Ohne Lila ging gar nichts! Ich wählte ihre Handynummer.
»Hallo, Line, was gibt’s?«
»Ich habe ein Vorstellungsgespräch! Bei der Agentur! Heute noch!«, brüllte ich. »Die suchen ganz dringend jemanden!«
»Das ist ja super! Ich drück dir die Daumen! Wann musst du dort sein?«
»In ... 55 Minuten«, sagte ich.
»Bist du geduscht? Angezogen? Geschminkt?«, fragte Lila.
»Äh ... nein«, sagte ich kleinlaut. »Ich dachte, ich ruf kurz an, wegen der positiven Energie ...«
»Und verschwendest deine Zeit mit Telefonaten?«, brüllte Lila. »Los, und zwar sofort!« Klick. Die Leitung war tot.
58 Minuten später stand ich angezogen und atemlos vor einem Gründerzeit-Haus in der Heusteigstraße. Eine ganze Reihe schicker Schilder hing neben dem Eingang.
Friends and Foes
war im zweiten Stock. Ich klingelte und ging durch einen breiten Flur hinauf. Eine kleine, rundliche Frau in einem schicken schwarzen Kostüm stand mit einer selbstgedrehten Zigarette in der Hand in der Tür. Ihr Händedruck war kräftig.
»Frau Praetorius? Bauer. Wir haben telefoniert. Schön, dass Sie so schnell da sein konnten. Kommen Sie doch rein.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging mit dynamischen Schritten voraus. Die Absätze ihrer Pumps klapperten auf dem Parkett.
Wir landeten direkt in einem riesigen, offenen Raum mit einer breiten Fensterfront. Über die ganze Fläche waren Schreibtische verteilt, an denen ein paar Leute konzentriert arbeiteten und nicht einmal aufsahen. An einer Seite war eine offene Küche mit einer Theke. Vor der Theke stand ein langer Holztisch mit Bänken. Die Betonwände waren nackt.
»Tolles Loft«, sagte ich. Das war doch hoffentlich ein Loft?
»Wir haben das Gebäude gerade erst bezogen«, sagte die Frau. »Lofts auf fünf Etagen, lauter Kreativ-Unternehmen, die sich gegenseitig inspirieren. Wir setzen auf Offenheit und Transparenz. Wir haben nur einen abgeschlossenen Raum. Unser Besprechungszimmer.«
Sie führte mich in das kleine Zimmer, bot mir einen Stuhl an und kam ohne Umschweife und Kaffee zum Thema. Ihre Stimme war kühl und sachlich. »Also, bei uns sieht es momentan so aus: Wir ertrinken in Arbeit. Wir haben eine schwangere Kollegin, Texterin, die uns vor drei Tagen mitgeteilt hat, dass sie den Rest der Schwangerschaft liegen muss. Die anderen haben schon Nachtschichten eingelegt, aber ohne Unterstützung kriegen wir das nicht hin. Ich biete Ihnen Folgendes an: zunächst zwei Monate Probezeit, so lange, bis das Kind da ist. Wenn’s gut läuft, übernehmen wir Sie für die Elternzeit, das wäre zunächst mal für ein Jahr. Danach sehen wir weiter. Können Sie am Montag anfangen?«
»Ja, klar«, sagte ich verdattert. »Aber wollen Sie mir denn gar keine Fragen stellen? Oder irgendwelche Tests mit mir machen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe heute früh Ihre Unterlagen durchgesehen. Die sind nicht gerade toll. Aber ich verlasse mich erstens auf die Empfehlung unseres Chefs und zweitens auf mein Bauchgefühl. Außerdem erspart es uns teure Ausschreibungen, auf die dann wieder Hunderte von Jobsuchenden antworten. Die Kollegin hat mehrere dringende Projekte betreut. Die Kunden werden ungeduldig. Da muss sofort jemand
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