Brezeltango
künstlerisch-platonisch. Daran ändert auch die Trennung von Leon nichts.«
»Wart’s doch mal ab. Auf jeden Fall wird es dir guttun, dich mal wieder als Frau zu fühlen!«
Ich zog die schwarzen Stiefel an, die ich zu dem Kleid gekauft hatte. Lila hatte recht. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich nicht wie eine Katze, die man kurz vor dem Urlaub im strömenden Regen an der Raststätte Schönbuch ausgesetzt hatte. Endlich ging es aufwärts.
Weil Fahrradfahren mit dem Kleid keine echte Option war, stieg ich am Hauptbahnhof vom Bus in die S-Bahn um und am Feuersee wieder aus. Die Reuchlinstraße war Leonland. Hoffentlich traf ich ihn nicht auf der Straße, Händchen haltend mit seiner Schleimschnecke!
Wegen der Klamottenfrage war ich über eine halbe Stunde verspätet. Das war aber besser, als zu pünktlich bei der Vernissage aufzukreuzen und sich als Spießerin zu outen. Sicher würde Tarik schon ungeduldig auf seine Muse warten.
Ich betrat die Galerie und sah mich suchend um. Die vertrauten Gestalten von der Kunstakademie hingen herum, dazu beflissenes Bildungsbürgertum. Hohe Hacken, seltsame Mützchen und flatternde Schals. Prosecco, Weißwein und Salzletten. »Hach, wir müssen unbedingt mal was zusammen machen!« Küsschen links, Küsschen rechts.
Ein Handy klingelte hinter mir und eine Frauenstimme fragte: »Wo bist du?«
»In der Galerie, und du?«, sagte eine Stimme in drei Meter Entfernung.
»Ich auch!«
Zweimal kurzes Kreischen, dann stürzten die beiden aufeinander zu wie zwei wild flatternde Hühnchen. Ich konnte gerade noch zur Seite springen.
Tarik war nirgends zu sehen. Sicher würde er gleich auftauchen und dann hatte ich auch jemanden, auf den ich mich quiekend stürzen konnte, um ihn zu küssen und zu herzen, und alle würden zu uns hersehen und mich beneiden, weil Tarik in Kunstkreisen ein Promi war! Im Moment allerdings fühlte ich mich ziemlich verloren. Schließlich war das nach der Döner-Ausstellung erst meine zweite Vernissage und ich wusste noch nicht so genau, wie man sich da korrekt verhielt. Ich holte mir ein Glas Prosecco, um mich wenigstens an etwas festhalten zu können, und entdeckte zudem eine Preisliste der Kunstwerke. Nun hatten beide Hände etwas zu tun und ich fühlte mich schon viel besser. Ich lief powackelnd von Kunstwerk zu Kunstwerk, legte den Kopf schief, runzelte die Stirn, murmelte vor mich hin und nickte immer wieder anerkennend, so wie es die anderen Leute machten. Ein Mobile aus verschiedenfarbigen Wattestäbchen für schlappe 850 Euro, das war doch fast geschenkt! Immer noch kein Tarik. Vielleicht konnte ich die Gelegenheit nutzen und jemanden kennenlernen? Leider schien hier das Arche-Noah-Prinzip vorzuherrschen. Außer mir waren alle anderen Leute zu zweit da. Voller Wehmut dachte ich an die Zeit mit Leon. Ab und zu spürte ich einen verstohlenen Blick, der auf meinem Hintern klebte.
Ich wartete eine halbe Stunde vergeblich. Dann versuchte ich, Tarik auf dem Handy zu erreichen. Ich probierte es auf dem Festnetz. Anrufbeantworter. Weil mir nichts Besseres einfiel, wandte ich mich an die Galeriebesitzerin, eine mittelalte Blonde mit sehr schmalen, knallrot geschminkten Lippen in einem Filzkleid im Lagen-Look.
»Entschuldigen Sie … Ich bin hier mit Tarik verabredet. Er hat nicht zufällig eine Nachricht für mich hinterlassen?«
Sie sah mich erst prüfend, dann mitleidig an, und ich widerstand der Versuchung, ihr zu sagen, dass ich keins von Tariks Bettwärmerchen war.
»Tarik sagt immer, dass er kommt. Aber er war noch nie da.«
Vielleicht war er ja krank? Es gab doch so Magen-Darm-Infekte, die von einer Sekunde auf die andere über einen kamen. Völlig entkräftet wankte man zwischen Kloschüssel und Bett hin und her und war sogar zu schwach, ein Handy zu halten! Ich würde einfach zu ihm fahren. Sicher würde sich Tarik freuen, wenn ich Kamillentee für ihn kochte und ihm aufmunternd zusprach. Und wenn er mich versetzt hatte, dann wusste ich auch, woran ich war. Dann würde ich meinen Job als Muse fristlos kündigen. Einen Augenblick überlegte ich, was ich tun sollte, wenn Tarik mit einem seiner Groupies im Bett lag. Aber dann würde er bestimmt nicht die Tür öffnen.
Ich fuhr mit der S-Bahn zurück zum Hauptbahnhof, kaufte bei Crobag ein paar Croissants und nahm dann die U7 bis zum Killesberg. Ich war schon lange nicht mehr hier oben ausgestiegen. Früher war hier das Messegelände gewesen. Dann war die Messe auf die Filder gezogen und
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