Brezeltango
es dir von meinem ersten Gehalt zurück!«
»Des will i hoffa«, sagte Harald, schubste mich zum Self-Check-in ein paar Meter weiter und drückte auf dem Display herum. »Gang oder Fenschdr?«, fragte er.
»Ist doch völlig egal, ich fliege doch sowieso nicht!«, jammerte ich.
Endlich spuckte das Gerät meine Bordkarte aus. Entweder hatte ich jetzt den Zugang zum Himmel. Oder zur Hölle. Ich spurtete los.
»Viel Glick!«, brüllte Harald.
Ein grünes Licht tanzte auf der großen Tafel neben dem Wort Amsterdam. Boarding.
Ich rannte. Den Sicherheitscheck hatte ich nach endlosen Minuten passiert. Weil ich nicht einmal Handgepäck hatte, war ich besonders sorgfältig kontrolliert worden. Jetzt rannte ich. Schneller, als ich jemals zuvor in meinem Leben gerannt war. Es hämmerte in meinem Kopf. Leon. Leon, hörst du mich? Bitte, steig noch nicht ein … Gate 336. Ich rannte. 337. Endlich.
Eine Frau in einem dunkelblauen Anzug fertigte gerade die letzten Passagiere ab. Sie verschwanden in einem grauen Schlund. Sonst war die Halle leer. Bis auf zwei Menschen, die noch auf ihren schwarzen Sitzen saßen. Der eine Mensch war Leon, der andere Yvette. Yvette hatte den Arm um Leon gelegt, er saß da, dicht an sie geschmiegt, regungslos. Hier genoss ein glückliches Liebespaar einen letzten intimen Moment in Stuttgart, bevor es Hand in Hand gen Osten in den Sonnenuntergang flog, einer gemeinsamen Zukunft in Wuxi entgegen. Yvette hatte gewonnen. Ich war draußen.
Einen Augenblick blieb ich wie erstarrt stehen, spürte, wie mein Atem in Stößen ging, das Herz schmerzhaft gegen meinen Brustkorb donnerte und mir die Tränen übers Gesicht liefen, ohne dass ich irgendetwas dagegen tun konnte. Ich musste sofort hier weg, bevor mich die beiden sahen. Mich in Luft auflösen, in den Boden versinken, weglaufen, bis ans andere Ende der Welt. Alles, nur nicht gesehen werden. Rasch drehte ich mich um.
»Pipeline Praetorius!« Ein Schrei gellte durch die Halle. »Du bleibst gefälligst hier!«
Es war Yvette, die da brüllte. Wollte sie mich noch ein bisschen vor Leon demütigen? Yvette brauchte nur wenige Schritte in ihren hochhackigen Pumps, um vor mir zu stehen. Sie trug ein beiges, makelloses Business-Kostüm und ein Seidentuch. Jede Welle ihres blonden Haars lag perfekt. Sie roch sogar perfekt. Mir wurde schlecht.
»Kannst ihn behalten«, sagte sie spöttisch, beugte sich vor und flüsterte: »So toll ist er nun auch wieder nicht. Ein bisschen zu bieder für meinen Geschmack.«
Dann ging sie an ihren Platz zurück, zog den Griff ihres kleinen schwarzen Rollkoffers heraus, legte sich einen eleganten Mantel über den Arm, winkte Leon nachlässig zu und verschwand in dem gläsernen Schlund.
Leon war aufgesprungen und starrte mich aus rot verheulten, geschwollenen Augen ungläubig an. Er war sehr blass und wirkte erschöpft. Nicht wie jemand, der sich gerade mit seiner Liebsten auf einen neuen Lebensabschnitt freut. Eher ein bisschen wie ein Untoter. In der Zeit, als er mit mir zusammen war, hatte er besser ausgesehen.
»Line … Ich glaub’s einfach nicht …«
»Ist jemand gestorben?«, fragte ich vorsichtig. Ich musste ja sichergehen, dass er meinetwegen heulte.
Leon stöhnte nur und verdrehte die Augen gen Himmel. Okay. Das war geklärt. Dann schlug jetzt die Stunde meiner Liebeserklärung. Die würde sämtliche Liebeserklärungen, die jemals in Gedichten, Romanen oder Filmen gemacht wurden, übertreffen und ins Guinness-Buch der Rekorde eingehen. Überwältigt von meinen Worten, würde mich Leon in seine Arme reißen und mit heißen Küssen bedecken, und alles würde gut werden. Wie ging der Text noch mal?
»Leon, ich war so ein blinder Volltrottel. Ich wollte dir sagen … Ich wollte dir … also nur sagen, dass … also meine Gefühle … zu dir … du weißt schon …«, stotterte ich. Das war ohne Zweifel rekordverdächtig.
»Nein«, sagte Leon ruhig. »Nein, ich hab keine Ahnung, wovon du redest.«
»Man kann dieses Wort nicht aussprechen!«, schrie ich verzweifelt.
»Doch, man kann. Wenn ich hier sitzen und wegen dir flennen kann, wie ein Mann überhaupt nur einmal in seinem Leben flennt, dann kannst du dieses Wort aussprechen. Und komm mir jetzt nicht mit irgendwelchen Ausreden!«
»Ich l… also … ich l… lll… lieb… liebäugle damit, dir zu sagen …«
»Hören Sie, wenn Sie dieses Flugzeug nehmen wollen, dann kommen Sie jetzt, und zwar sofort!«, rief die Frau vom Bodenpersonal genervt
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