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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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unten rennen und …
    Lila schüttelte den Kopf. »Nein, nicht Leon. Komm und sieh selbst. Beeil dich.«
    Ich stand auf, tauschte den Schlafanzug rasch gegen T-Shirt und Jogginghose, fuhr mir mit den Händen durch die Haare und lief die Treppe hinunter.
    Ich traute meinen Augen nicht. In der Küche saßen Herr Tellerle und Frau Müller-Thurgau. Verlegen rutschten sie auf den alten Stühlen herum und fühlten sich sichtlich unwohl. Lila wurschtelte mit Kaffeetassen herum. Ich gab beiden die Hand.
    »Na so eine … Überraschung«, sagte ich. »Wie nett, dass Sie mal vorbeischauen!«
    Woher hatten die überhaupt meine Adresse? Frau Müller-Thurgau hatte ich immer nur in ihrem rosa Jogginganzug mit den Doris-Day-Pantöffelchen gesehen und den Eindruck gehabt, dass sie sich nie weiter vom Haus in der Reinsburgstraße wegbewegte als bis zum Kandel, und das auch nur, wenn sie die »große Kehrwoche« machte. Sie trug ein T-Shirt mit einem aufgedruckten Hündchen und eine Stoffhose, wie man sie in der Fernsehzeitschrift
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bestellen konnte. Zwischen halbhohen Stiefelchen und Hose leuchteten ihre Krampfadern. Herr Tellerle sah aus wie immer, ausgebeulte Cordhose mit Hosenträgern und graugrünbraunes Hemd.
    Einen Augenblick lang herrschte peinliche Stille. Lila schenkte Kaffee ein. Das lenkte für eine Minute ab. Dann war es wieder still.
    Ich räusperte mich. »Wie geht’s denn so in der Reinsburgstraße?«, sagte ich, um wenigstens irgendetwas zu sagen.
    »Älles en Ordnong«, sagte Herr Tellerle.
    »Dr jonge Maa isch fort«, platzte Frau Müller-Thurgau heraus. Ihr Gesicht war gerötet. Sie wirkte sehr aufgeregt.
    »Leon?«
    Waren die beiden deshalb hier?
    Frau Müller-Thurgau nestelte nervös an ihren Goldketten herum. »Dirfd i oine raucha?«, fragte sie.
    »Sicher, sicher«, sagte Lila, sprang auf und holte einen angeschlagenen Unterteller als Aschenbecherersatz.
    Rauchen in Lilas Küche! Das hatte es noch nie gegeben.
    Frau Müller-Thurgau zündete sich eine HB an und zog hektisch an der Zigarette. »Also, vor a baar Wocha hot dr jonge Maa bei dr Kehrwoch verzehld, dass er auszieht on zom Bosch noch …Wie hoißt des … Wuschi goht. Des isch bei dene Chinesa.«
    Ich fing an zu zittern. Leon haute ab. Er legte Tausende von Kilometern zwischen uns und wir würden uns niemals mehr zufällig auf der Königstraße begegnen. In Wuxi würde er sich in die Fußreflexzonenmasseurin verlieben, die Bosch seinen deutschen Mitarbeitern in der Frühstückspause zur Steigerung der Leistungsfähigkeit ins Büro schickte, eine Chinesin mit blasser Haut und ewigem Lächeln, die von einem Leben mit vielen Kindern in Europa träumte und deshalb beim Massieren der Füße besonders viel Sorgfalt darauf verwandte, Blockaden in Leons erogenen Zonen aufzulösen.
    »On geschdern isch er komma, om sich zom verabschieda.«
    Der Boden begann unter meinen Füßen zu schwanken. Das war’s dann wohl. Ich würde Leon nie wiedersehen.
    »On noo hot er mr Ihr Adress gäba, weil falls Poschd kommd, zom Nochschicka.«
    Seit unserer Trennung hatte Leon mir die Post nachgesandt. Nicht dass es viel war, aber jedes Mal, wenn ich einen Umschlag mit seiner Schrift aus dem Briefkasten fischte, fing ich an zu heulen.
    »On vorher isch ’s Taxi komma.«
    Leon war also noch nicht weg?
    »On noo ben i nonder zom Heiner. Weil i han oifach net gwissd, was doo.«
    Frau Müller-Thurgau und Herr Tellerle duzten sich? Sie kannten sich doch erst seit dreißig Jahren!
    »Ich verstehe nicht ganz«, sagte ich langsam.
    »’s goht ons joo nix aa«, sagte Frau Müller-Thurgau verlegen.
    »Mr will sich joo net eimischa«, rief Herr Tellerle aus.
    »’s isch bloß so … Dr jonge Maa hot en de ledschde Wocha so kreizoglicklich ausgsäh. On noo han i zom Heiner gsagt, Heiner, han i gsagt, fendsch du net au, drvor, wo die Frau Praetorius no ens Haus komma isch, doo hot er oifach mee gschwätzt on glacht? On dr Heiner hot gsagt, ha doch, des han i au denkt. On noo hemmr oifach denkt, also mir sagad’s Ihne, weil vielleicht … On Sie, wenn i mir die Bemergong erlauba derf, also Sie hen au scho mol bessr ausgsäh …« Frau Müller-Thurgau war jetzt dunkelrot.
    Ich starrte Frau Müller-Thurgau und Herrn Tellerle ungläubig an. Waren sie tatsächlich hier, um meine Beziehung zu retten?
    »Und Yvette? Sie wissen schon, diese …«, ich schluckte. »Äußerst attraktive Blondine« war zwar richtig, würde mir aber nicht über die Lippen kommen.
    »Also, die isch bloß no a

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