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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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herüber.
    »Noch einen winzigen Augenblick«, flehte Leon. »Sie hat’s gleich.«
    »Ich llllllll…« Das Wort wollte nicht heraus. Es weigerte sich einfach. Blieb stecken. Konnte es sein, dass ich die emotionale Intelligenz eines Wildschweins besaß? Ich holte tief Luft. »…iebe dich«, vollendete ich atemlos.
    »Geht doch«, sagte Leon und schloss mich heulend in die Arme.
    Meine Knie waren weich. Es war der längste und kürzeste Kuss meines Lebens. Und der salzigste. Ich wollte einfach nur für immer hier stehen bleiben, küssend und heulend.
    »
Wir fliegen jetzt ohne Sie!
«, kreischte die Abfertigungs-Frau hysterisch.
    »Nur noch eine Sekunde. Bitte!«
    Die Frau griff hektisch nach einem Funkgerät und sprach aufgeregt hinein.
    Wir hielten uns ganz fest. Leon hatte eine Hand unter mein T-Shirt geschoben und streichelte sanft über meinen Rücken und meine Hüften. »Du hast ja Hüften«, murmelte er.
    »Ich hab wegen dir zugenommen«, flüsterte ich. »Dein Bauch ist weg.«
    Schade, ich hatte ihn immer kuschelig gefunden.
    »Du hast mich einige Kilos gekostet. Ich dachte, du verzeihst mir nie. Apropos Verzeihen. Yvette ist jetzt mit dem deutschen Geschäftsführer der Niederlassung in Wuxi zusammen. Sie zieht zu ihm in ein hübsches Haus am See. Das fördert ihre Karriere.«
    Yvette. Wer war noch mal Yvette?
    »Ich muss dir noch was sagen«, murmelte ich in Leons Ohr. Eigentlich war jetzt nicht der passende Zeitpunkt für lange Erklärungen. Aber Leon sollte endlich die Wahrheit erfahren. »Ich habe einen genetischen Defekt.«
    Leon grinste, nahm meine Hand und küsste sie. Wie hatte ich dieses Grinsen vermisst!
    »Das Katastrophen-Gen. Davon hat mir Dorle schon erzählt, als wir uns das allererste Mal gesehen haben.«
    »Du hast die ganze Zeit Bescheid gewusst? Das glaub ich einfach nicht!«
    »Erstens muss man ziemlich blind sein, um das mit dem Katastrophen-Gen nicht zu merken. Und zweitens – was hast du denn gedacht? Dass ich mich deshalb von dir trenne? Seit ich dich kenne, ist mein Leben viel lustiger geworden«, sagte Leon. »Ein bisschen wilder. Gefährlicher. Früher war alles so … normal. Langweilig. Vorhersehbar. Line, ich liebe dich mitsamt deinem Katastrophen-Gen. Und ich hoffe sehr, du vererbst es mal weiter …« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
    Wir klammerten uns wieder aneinander.
    »Und was machen wir jetzt?«, sagte ich unglücklich. »Am Montag fängt mein neuer Job an.«
    »Nichts. Du wirst deinen neuen Job nicht hinschmeißen, um mit mir zu fliegen, und ich werde meine Karriere bei Bosch nicht vermasseln, indem ich den Flieger verpasse. Wenn ich ihn nicht schon verpasst habe.«
    »Das ist aber so unromantisch«, schluchzte ich. »Ich will ein Happy End.«
    »Süße, das ist das Beste, was du an Happy End kriegen kannst, unter diesen Umständen«, sagte Leon liebevoll. »Wir sind nun mal nicht in Hollywood. Du hast mich gerade noch erwischt. Wir konnten uns noch mal küssen. Und morgen kaufst du dir eine Webcam, damit wir uns beim Telefonieren sehen können.«
    Das kriegte ich technisch nicht hin. Und vor jedem Telefonat überlegen, was ich anzog? O Gott.
    »An Weihnachten besuchst du mich in China. Das sind doch nur noch ein paar Wochen.«
    Die Frau von der Abfertigung stand mit verschränkten Armen vor Leon. »Hören Sie, ich gebe Ihnen noch genau zwanzig Sekunden, um Ihren Hintern in dieses Flugzeug zu bewegen. Sonst wird Ihr Gepäck ausgeladen, Sie bleiben hier und können knutschen, so lange Sie wollen.«
    »Ich komme«, sagte Leon. Er gab mir einen schnellen letzten Kuss. »Bis bald«, murmelte er. »Pass auf dich auf.«
    Unsere Hände lösten sich. Ein letztes Winken, Sekunden später hatte der Schlund Leon verschluckt.
    Einen Augenblick blieb ich erschöpft stehen, allein in der großen, leeren Abflughalle. Dann ging ich aufs Klo, wusch mein Gesicht und vermied es, dabei in den Spiegel zu sehen. Ich dachte an Leon, der sich jetzt wahrscheinlich gerade den Sicherheitsgurt anlegte, während Yvette ihn spöttisch ansah. Dann machte ich mich auf den Weg zum Ausgang.
    »Letzter und dringender Aufruf für Passagier Pipeline Praetorius, gebucht nach Hamburg. Bitte kommen Sie dringend zum Ausgang 116. Pipeline Praetorius, Sie werden dringend zum Ausgang 116 gebeten …« Die Stimme aus dem Lautsprecher verhallte.
    Nein. Pipeline Praetorius würde nicht fliegen. Ich ging zurück durch die Sicherheitskontrolle.
    »Hen Sie ebbes vergessa?«, fragte einer der Beamten, als er

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