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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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brauste mit überhöhter Geschwindigkeit die Reinsburgstraße hinunter. Seine Mutter saß schweigend auf dem Beifahrersitz.
    »Und, wohnen Sie gerne in Stuttgart?«, fragte ich, um die Stille zu durchbrechen.
    Tariks Mutter beachtete mich nicht. Stattdessen übergoss sie Tarik mit einem türkischen Wortschwall. Dann war es wieder still.
    »Was ist mit deinem Vater?«, fragte ich schließlich Tarik.
    »Mein Vater stapelt Gemüsekisten bei einem türkischen Großhändler in Wangen und macht sich das Kreuz kaputt«, sagte Tarik. »Nachtschicht. Hätte er schon lange nicht mehr nötig, aber er ist zu stolz, um Geld von mir anzunehmen.«
    »Hast du eigentlich keinen Nachnamen?«
    »Natürlich habe ich einen Nachnamen. Aber fürs Marketing ist ein Name besser. Oder kennst du die Nachnamen von Christo oder Jeanne-Claude?«
    Das leuchtete ein. Tarik brauste über eine sehr orangene Ampel am Hauptbahnhof und bog nach rechts ab. Hinter der Haltestelle »Milchhof« hielt er an. Seine Mutter wartete, bis Tarik ihr die Tür öffnete, und stieg aus, ohne mich weiter zu beachten. Die beiden verschwanden in der Dunkelheit. Um mich nicht wie in einem Taxi zu fühlen, setzte ich mich nach vorne und sah mir die Plüschtiere und Glücksbringer an, die am Rückspiegel baumelten. Eine weibliche Stimme zeterte. Nach ein paar Minuten kam Tarik zurück.
    »Stur wie ein anatolischer Maulesel«, schimpfte er.
    »Wieso?«
    »Sonst hat wenigstens meine Mutter Geld von mir angenommen. Jetzt weigert sie sich, weil sie die Ausstellung gesehen hat und meine Arbeiten allahlos findet. Das ist nicht allahlos, das ist Kunst! Außerdem hat sie mir zum hundertsten Mal erklärt, dass ich gefälligst die Nichte meines Cousins siebten Grades heiraten soll, anstatt mich mit deutschen Frauen abzugeben!«
    Tarik stieß ein paar wütende türkische Sätze aus. Dann ließ er den Motor aufheulen.
    Nach wenigen hundert Metern bogen wir von der Straße nach links ab und parkten auf einem einsamen, düster aussehenden und schlecht beleuchteten Gelände. Wo um Himmels willen waren wir? Auf jeden Fall war das die ideale Location für einen Krimi-Showdown. Hmm. Musste ich mir Sorgen machen? Andererseits hatte eine Türken-Disco sicher nur hier Überlebenschancen, wo es keine Proteste von Anwohnern hagelte, die hinter einem harmlosen Laden fundamentalistische Islamisten vermuteten. Wir stiegen aus. Es war sehr still. Keine wummernden Bässe. Keine aufgemotzten Mädels.
    »Wo sind wir hier?«, fragte ich leicht nervös.
    »Am Nordbahnhof. Auf dem Gelände der Wagenhallen.«
    Tarik bugsierte mich am Ellenbogen um eine dunkle Ecke. Auf der Hauswand leuchtete ein Schriftzug:
Tango Ocho
.
    »Ein Tango-Schuppen?«
    Dunkle Erinnerungen an grauenhaft unter den Achseln schwitzende Tanzstunden-Jünglinge, vor denen ich schreiend Reißaus genommen hatte, stiegen in mir auf.
    »Ich kann keinen Tango tanzen«, protestierte ich.
    »Aber ich«, sagte Tarik.
    »Du bist doch Türke und nicht Argentinier!«
    »Alle Türken tanzen Tango«, sagte Tarik achselzuckend. »Ich komme regelmäßig hierher.«
    Er führte mich in einen Gang, der in schwaches orangefarbenes Licht getaucht war, und dann nach links in das Lokal. An einer Kasse saß eine Frau im engen Kleid, die Tarik mit Namen begrüßte. Tarik machte Küsschen, Küsschen. Er reichte ihr einen Schein, lehnte das Wechselgeld ab und winkte mir, ihm zu folgen.
    Die alte Fabrikhalle hatte schon einmal bessere Zeiten gesehen. Der größte Teil des Raums wurde von einer Tanzfläche eingenommen, auf der sich eng umschlungene Paare zu Tango-Rhythmen drehten. Im Hintergrund flimmerte Werbung für Tango-Urlaub mit Vera und Leonardo über die Wand. Zur Tanzfläche hin standen wild zusammengewürfelte Stühle, Sessel und Sofas an wacklig aussehenden Tischen. Chinesische Lampions und Lichterketten verbreiteten ein schummriges Licht. Frauen aller Altersstufen stürzten freudig auf Tarik zu. Mich dagegen behandelten sie wie Luft oder warfen mir argwöhnische Blicke zu. Ganz offensichtlich wurde Tarik als
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gehandelt. Vielleicht befürchteten sie auch einfach, ich würde ihnen den Tanzpartner wegnehmen?
    »Geh ruhig tanzen«, sagte ich. »Ich guck gerne mal ’ne Weile zu.«
    »Was möchtest du trinken?«, fragte Tarik und ignorierte meinen Vorschlag.
    »Haben die hier vielleicht argentinischen Rotwein?«
    Tarik nickte und ging zu einer Bar, nicht ohne nach allen Seiten zu grüßen und das eine oder andere Wort zu wechseln. Es

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