Brezeltango
attraktiv, schien aber über geheime Superkräfte zu verfügen. Es fühlte sich an, als würde sein Blick alienmäßig von oben in meinen Kopf und von dort durch meinen ganzen Körper rutschen, um mir dann langsam die Füße nach vorne wegzuziehen. Ich schluckte und begann leicht zu schwanken.
»So, so. Du willst also einen Döner?«, fragte der Mann und strich sich mit einer großen Geste die Haare aus der Stirn. Ein riesiger Totenkopfring prangte auf seinem Mittelfinger. Seine Stimme war tief und wohlklingend. Fast wie einer der dreizehn Tenöre.
»Wenn’s keine Umstände macht, ja«, sagte ich.
»Du bist süß«, sagte er. »Sehr süß. Das ist kein Döner. Das ist eine Installation.«
»Ach«, sagte ich.
Der installierte Döner unterschied sich nicht wirklich von den Dönern, die ich sonst so kannte. Außerdem wusste ich nicht, was ich davon halten sollte, von einer je zur Hälfte aus Rodin und Superman bestehenden Reinkarnation süß gefunden zu werden.
»Komm rein«, sagte die Rodin-Hälfte und winkte mich in die Galerie. »Ich zeig dir die Ausstellung. Sie heißt übrigens ›Dönerwelt‹. Und ich bin Tarik. Der Künstler.« Unwillkürlich warf er sich ein kleines bisschen in die breite Brust.
Irgendwo hatte ich den Namen schon mal gehört.
»Freut mich«, sagte ich. »Ich heiße Line.«
Tarik musterte mich wieder. Offenbar hatte er etwas mehr Euphorie erwartet. »Du kennst dich wohl nicht so aus mit zeitgenössischer Kunst?«, fragte er.
»Doch, natürlich!«, rief ich enthusiastisch. »Andy Warhol. Beuys in der Staatsgalerie. Kennt man doch.«
Er sah mich nachdenklich an. »Du bist echt süß«, sagte er und kniff mich neckisch in die Wange.
Zum Glück bestand die Galerie nur aus zwei kleinen Räumen, die ineinander übergingen, da war man sicher schnell durch. Ich war zwar ziemlich intellektuell, aber mit Kunst hatte ich es nicht so, und außerdem brauchte ich dringend was zu essen. Auf einer Fotomontage räkelten sich vor einem Hotel namens »Izmir Palace« statt Menschen Dönerspieße in den Liegestühlen. Das nächste Bild namens »Religious Döner« zeigte eine jesusähnliche Gestalt an einer langen Tafel mit vielen Menschen, die Döner in Fladenbrot austeilte. Dorle hätte Tarik vermutlich den Marsch geblasen. Dann war da noch ein Bild, auf dem ein Döner in einer surrealen Landschaft zerfloss wie die Uhren von Dalí. Im Hintergrund war ein Joghurtsoßen-Strom zu sehen. Bei dem Anblick bekam ich noch mehr Hunger.
Der zweite Raum wurde nahezu vollständig von einem einzigen Kunstwerk ausgefüllt. In zwei eisbergähnlichen durchsichtigen Blöcken waren überdimensionale Fleischstücke, Fladenbrot, Kraut, Tomatenscheiben, Zwiebelringe und erstarrte Soße eingefroren.
»Zersägter Döner in Formaldehyd«, sagte Tarik und führte mich durch eine Art Gang zwischen den beiden Blöcken hindurch.
Mein laut knurrender Magen wurde zum Glück von dumpfer Musik übertönt. Der Gang endete an einer improvisierten Bar, an der ein Haufen Mädchen hing, die entweder sehr bunt oder ebenso schwarz wie Tarik angezogen waren. Sie tranken Bionade, stopften Gummibärchen in sich hinein und schafften das Kunststück, gleichzeitig zu kichern und mich sääähr böse anzusehen. Ich fühlte mich ein bisschen wie eine winzige Maus, die arglos aus ihrem Loch tippelt und plötzlich in unzählige hungrige Katzenaugen starrt.
»Hallo«, sagte ich verlegen und tauchte schnell mit der Hand in die Gummibärchen, ehe mir eines der Mädchen auf die Finger klopfte.
»Litschi oder Holunder?«, fragte Tarik.
»Holunder, danke«, sagte ich.
Tarik reichte mir eine Flasche Bionade. Neben der Bar thronte eine ältere Frau unbeweglich auf einem klapprigen Stuhl. Sie trug einen langen Rock, eine gestreifte Bluse und Kopftuch. Sie saß sehr aufrecht und hielt mit beiden Händen eine Handtasche auf den Knien fest. Obwohl sie vollkommen deplatziert wirkte, strahlte sie eine natürliche Autorität aus. Ich musste zweimal hinsehen. War die Frau echt oder auch eine Installation?
Tarik bemerkte meinen Blick. »Das ist meine
Anne
«, sagte er.
»Freut mich«, sagte ich und hielt der Frau meine Hand hin.
Sie nahm sie nicht, sondern nickte mir stattdessen würdevoll zu.
»Wie findest du eigentlich das letzte Kunstwerk?«, fragte Tarik und machte eine Handbewegung zur Wand hin.
Ich kniff die Augen zusammen. Die Wand war leer. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, aber Tarik stand jetzt dicht neben mir und der Alien-Effekt trat
Weitere Kostenlose Bücher