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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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vor der Oper schwammen nur die Enten, und den Nesenbach kannte man nur vom Hörensagen.
    Ein drahtiger, braungebrannter Mann stand auf einem Anleger und brüllte einem Mann und einer Frau in roten Schwimmwesten auf einem Bötchen Befehle zu. Die beiden waren vor allem damit beschäftigt, das Segel der Jolle nicht an den Kopf zu kriegen. Es war fast windstill, trotzdem schipperten die Segelboote fröhlich im Wind. Leons Augen hatten einen verträumten Blick, als er aufs Wasser sah. Das schien sein spezieller Hamburgblick zu sein, denn ich kannte diesen Blick nicht. Wir liefen Hand in Hand. Leon straffte die Schultern und schritt weit aus, sodass ich schon fast neben ihm herhoppeln musste. Er schien mich komplett vergessen zu haben und ging zielstrebig auf eine Kneipe direkt am Wasser zu, als hätte er eine Verabredung. Hier standen Leute plaudernd herum oder saßen mit Gläsern auf der Mauer und ließen ihre Beine ins Wasser baumeln. Vor uns lag die Alster mit ihren vielen Schiffchen, im Hintergrund waren unzählige Kirchtürme zu sehen. Die Atmosphäre war entspannt.
    »Sehr hübsch«, lobte ich.
    »Ja, nicht wahr?« Leons Augen glänzten und er sah so stolz aus, als hätte er persönlich Hamburg erfunden. »So was gibt’s in Stuttgart nicht.«
    »Stimmt«, sagte ich. »Da kann auch das Café
Nil
nicht mithalten.«
    »Da drüben ist übrigens das Literaturhaus«, sagte Leon. »Vielleicht möchtest du es dir ja anschauen?«
    »Ja, gern.« Literaturhaus, das gab es in Stuttgart auch, das war das Richtige für mich.
    »Lass dir ruhig Zeit«, sagte Leon. »Einfach über die Straße. Ich trinke solange schon mal ein Alsterwasser.«
    Hmm. Fast hatte ich das Gefühl, Leon wollte mich loswerden und ohne mich seine Heimat genießen. Und wie schade, dass ich meine Leidenschaft für Literatur nicht mit ihm teilen konnte!
    Das Literaturhaus wirkte sehr ehrwürdig und intellektuell und ich wurde ganz aufgeregt. Wahrscheinlich gaben sich Siegfried Lenz, Harry Rowohlt und Tine Wittler hier die Klinke in die Hand. Ich sah mich ein bisschen um und betrat dann die schnuckelige kleine Buchhandlung. Natürlich sah auch der Buchhändler mit seiner Nickelbrille intellektuell aus und natürlich führte er gerade ein intensives Telefonat: »Nein, das hat er weit von sich gewiesen, dass er im Akt des Schreibens das erlebe, was er gerade schreibt ... Er sei da sehr distanziert ...« Wie aufregend! Von wem sprach er nur? Hamburg war einfach eine total intellektuelle Stadt, eine Stadt der Zeitschriften, Bücher und Verlage. Wieso hatte Leon nur so wenig davon abgekriegt?
    Ich ging zurück ans Wasser. Leon stand mit zwei Gläsern in der Hand gedankenverloren da.
    Ich stupste ihn in die Seite. »Hallo, junger Mann. Ich würde Sie gerne kennenlernen. Sie sehen aus, als könnten Sie total gut zungenknutschen.«
    Leon grinste, küsste mich leicht auf die Wange und reichte mir ein Glas. »Alsterwasser«, sagte er.
    »Passt ja«, sagte ich. »Warum setzen wir uns nicht?« Ich deutete auf die Mauer am Wasser.
    »Möwenschiss«, sagte Leon.
    Deswegen saßen die meisten Leute auf mitgebrachten Bastmatten! Wenigstens ein Problem, das wir in Stuttgart nicht hatten. Da gab es nur Taubenschiss.
    »Da seid ihr ja endlich!«, rief Leons Mutter eine Stunde später aus, schloss ihren Sohn in die Arme und schüttelte mir mit einem strahlenden Lächeln kräftig die Hand.
    Wir waren am Hauptbahnhof in die U-Bahn gestiegen. Leon hatte mir in geheimnisvollem Ton geraten, ich solle mich auf die linke Seite setzen. Die Bahn fuhr aus dem Tunnel hinaus und ich schnappte nach Luft. Der Blick auf den Hafen war gigantisch! In der Abenddämmerung sah ich Kräne, Fähren und unzählige alte und neue Schiffe, die von blinkenden Lichtern beleuchtet waren. Kurze Zeit später fuhren wir an Backsteinhäusern vorbei, die mich an den Stuttgarter Osten erinnerten, nur waren hier die Gebäude viel höher.
    »Du kannst von hier aus bei uns in die Wohnung hineinsehen«, sagte Leon. »Achtung, jetzt!«
    Natürlich fuhr die Bahn viel zu schnell, um Papa Leon zeitunglesend im Sessel sitzen zu sehen. Außerdem spiegelte es. Aber Wohnungen ohne Vorhänge, in die man von der U-Bahn aus hineinsehen konnte, das war ja in Stuttgart undenkbar. Da sah man doch sogar, ob die Fenster geputzt waren!
    Von der U-Bahn-Haltestelle bis zu Leons Eltern war es nur ein paar Minuten Fußweg. Mittlerweile war es dunkel geworden.
    »Die Häuser hier sind sehr hübsch«, sagte Leon. »Jugendstil. Morgen bei Tag

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