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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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siehst du’s dann besser. Zweimal die Woche ist hier Markt. Leider nicht am Wochenende.«
    Jugendstil! Kein Wunder, dass Leon in den Stuttgarter Westen gezogen war, auch wenn er dort in einem hässlichen Fünfziger-Jahre-Bau wohnte. Allerdings war es hier deutlich grüner und ruhiger. Die U-Bahn-Trasse führte in der Mitte hoch über die Straße hinweg, darunter waren Autos geparkt. Im Geiste sah ich Gene Hackman unter der Hochbahntrasse entlangrasen und schätzungsweise 85 Autos mit Hamburger Kennzeichen in höchstens zweieinhalb Minuten schrotten.
    »Schöne Gegend«, sagte ich.
    Leon nickte enthusiastisch. »Mittlerweile unbezahlbar«, sagte er. »Meine Großeltern haben hier schon gewohnt. Heute könnten sich meine Eltern die Wohnung niemals leisten.«
    Vor dem Haus waren eine Menge Fahrräder wild durcheinander abgestellt, Büsche wucherten hemmungslos bis an die Eingangstür und im Hausflur parkten Kinderwägen. Obwohl das doch offensichtlich eine ordentliche Gegend war, schien es hier keinen Herrn Tellerle zu geben, der penibel darauf achtete, dass nichts im Weg herumstand. Der Flur war weiß gekachelt und erinnerte mich ein bisschen an das Heslacher Hallenbad.
    Nun standen wir also, nachdem wir mit einem klapprigen Aufzug nach oben gefahren waren, vor Leons Eltern. Beide Elternteile waren braun gebrannt und sahen aus, als ob sie im Sommer viel Zeit beim Segeln auf der Alster verbracht hätten. Leons Mutter war klein und drahtig und trug ihr schlohweißes Haar sportlich kurz. Leons Vater war dagegen groß, schlank und hatte sehr abstehende Ohren. Da er zudem fast keinen Haarwuchs mehr verzeichnen konnte, gab es nichts, was von den Ohren ablenkte. Ich warf einen raschen Blick auf Leon. Noch standen seine Ohren nicht ab und er hatte für einen Mann seines Alters noch recht viel Haar, dunkelblond und leicht lockig. Ich mochte es sehr. Allerdings deuteten Geheimratsecken an, dass es mit dem Schopf bergab ging. Damit konnte ich leben. Eine Glatze konnte ja sogar sexy wirken. Bloß, wie sah es mit den Ohren aus? Vielleicht gab es eine Gelegenheit, ein Kindheitsfoto von Leons Vater zu sehen, um festzustellen, ob das mit den Ohren schon immer so gewesen war oder ob sich das im Laufe der Jahre so entwickelt hatte? Ich nahm mir vor, Leons Ohren langfristig zu beobachten.
    »Line, bist du noch bei uns?«, fragte Leon amüsiert.
    O Gott. Ich stand wie angewurzelt im Flur eines Hamburger Jugendstilhauses und studierte ausführlich die Ohren von Leons Vater. Wie peinlich war das denn?
    Wir betraten die Wohnung und stellten unsere Taschen ab. Die Wohnung war seltsam schlauchartig angelegt. Leons Mutter dirigierte uns durch einen endlosen Gang in ein Wohnzimmer mit einer hübschen Stuckdecke.
    »Nach dem Kriech wurden die Wohnungen geteilt«, erklärte sie. »Deshalb ham wir leider kein Blick auf den Isebekkanal. Vadder, holst du den Weißwein? Sie trinkn doch ’n Gläschen Weißwein als Aperitif? Oder lieber Bier? Ich mach solange das Essen fertig.«
    »Weißwein, gerne«, sagte ich und blickte aus dem vorhanglosen Fenster. Eine U-Bahn sauste vorbei. Ich winkte. Hier brauchte man keinen Fernseher.
    »Gibt’s irgendwas, was Sie nich so gern mögen? Dann können Sie es ruhich sagen. Sie essen sicher vor allem Salat? Leons Freundinnen ham immer hauptsächlich Salat gegessen. Wegen der schlanken Linie. Und Sie sind ja so dünn ...«
    Leon sah einen Moment lang peinlich berührt aus, weil seine Mutter seine Exfreundinnen erwähnt hatte. Dann prustete er los. »Muddi, ich kann dir versichern, dass Line, obwohl sie so dünn ist, nicht zu den Frauen gehört, die Kalorien zählen. Du hast nicht zufällig eine richtig dick mit Salami belegte Tiefkühlpizza zu bieten?«
    Leons Mutter sah jetzt sehr verunsichert aus. »Nein, leider nich. Erst dacht ich, ich koch Labskaus, das is typisch für Hamboach. Aber Leons Leibgericht is Himmel und Erde und Tote Oma. Essen Sie das nich so gern? Die Läden sind jetzt auch zu. Sonst würd ich Vaddi nochmal losschickn.«
    »Ich liebe Himmel und Erde!«, rief ich enthusiastisch aus. »Und Tote Oma sowieso.«
    Ich hatte nicht den geringsten Plan, um was für Gerichte oder Getränke es sich dabei handelte. Ich kannte nur ein Hüpfspiel namens Himmel und Hölle. Und einen Roman von Cortázar. Tote Oma war bestimmt irgendein Getränk mit Alkohol, so wie Tote Tante. Aber Tote Oma? Da ich, was Essen betraf, so ziemlich alles aß, würde es mir schon schmecken. Ich sah, wie Leons Mundwinkel

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