Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
es auch dem Thibor-Geschöpf, und nun brachte sein Traum ihn bis an die letzten Grenzen der Angst.
Die Sonne war fast gesunken. Ihr Rand war nur noch eine rote Brandblase auf den Bergkämmen. Doch noch immer stachen ihre Strahlen auf die Erde herab und ließen hier und da ein Stück Land erglänzen. Die Schatten wurden länger und löschten schließlich die letzten goldenen Flecken des Sonnenscheins aus. Aber selbst dann, als die Sonne vollständig untergegangen war und auf andere Länder herabschien, konnte Thibor nicht ›erwachen‹, jedenfalls nicht in der Art, wie Menschen erwachen, denn er träumte manchmal viele Jahre lang, bevor ihn wieder ein Anfall des abgründigen Hasses packte, den die Menschen als ›Wachen‹ bezeichnen. Es ist nicht angenehm, lediglich ein Etwas zu sein, das unter der Erde liegt, wach, einsam, unbeweglich, untot.
Doch das kraftvolle Blut, das die Erde durchnässte, würde ihn ganz gewiss erwecken, sobald es ihn berührte. Auch jetzt schon weckte die Nähe jener warmen kostbaren Flüssigkeit in ihm alte Leidenschaften. Seine Nase weitete sich in Erwartung dieses Dufts, sein vertrocknetes Herz ließ das uralte Blut schneller durch die Adern fließen, und sein vampirischer Kern stöhnte lautlos in seinem Schlaf, den er mit ihm teilte.
Thibors Traum war allerdings der stärkere. Er magnetisierte seinen Geist, er zog ihn in eine Erkenntnis hinein, die er seit alters her fürchtete, die er jedoch immer wieder aufs Neue erleben musste.
Und unten in der kalten Erde unter der von reglosen Bäumen umkränzten Lichtung, wo die Mauersteine des Mausoleums zerbrochen und von Flechten bewachsen am Boden lagen, träumte er diesen untoten Albtraum weiter …
Der Pfad verbreiterte sich zu einer Allee zwischen hohen dunklen Kiefern und führte am Rand eines im Laufe der Jahrhunderte entstandenen Geröllfelds entlang. Zu Thibors Linken erhoben sich jenseits der kerzengeraden Kiefernstämme glatte schwarze Felsen mehrere hundert Meter hoch senkrecht bis in einen sternübersäten indigofarbenen Himmel. Zur Rechten standen die Bäume dicht an dicht, wuchsen bis hinunter in das hier nicht mehr so steile V der Kluft und auf der gegenüberliegenden Seite wieder hoch. Am Grund der Kluft gurgelte und strömte Wasser, unter der nachtschwarzen Decke des Geästs verborgen. Der Wlad hatte recht gehabt: Mit einer bloßen Handvoll Männer – oder Wölfe – konnte der Ferenczy diese Burg leicht gegen ein ganzes Heer verteidigen. Wenn man in die Burg gelangte, mochte es allerdings anders aussehen, vor allem, falls der Bojar tatsächlich allein oder fast allein dort lebte.
Endlich ragte die Burg selbst vor Thibor auf. Das Mauerwerk war beeindruckend, doch löchrig und teilweise verfallen. Zu beiden Seiten der Kluft erhoben sich fast dreißig Meter hohe mächtige Türme. Sie waren in quadratischer Form gebaut, wiesen am Fuß kaum Besonderheiten auf, doch höher droben sah er die Rundbögen vergatterter Fenster, Vorsprünge und Balkone mit massiven Einfassungen, und die Mäuler von aus Stein gehauenen Fratzen und Kraken klafften weit und dunkel. Oben auf den Türmen ragten hinter breiten Zinnen schiefergedeckte Türmchen auf, doch auch dort zeigten sich gähnende Löcher. Über allem dräute eine schwere Ausstrahlung von Verfall. Die Fäulnis lag gleich einer feuchtkalten Patina über dem Bau, als verströmte der Stein selbst kalten und klammen Schweiß.
Zwischen den Türmen erblickte Thibor in halber Höhe massive Strebebögen, die beinahe genauso dick wie die Türme selbst waren und sich quer über die Kluft spannten, wie eine Steinbrücke, die von Turm zu Turm fünfundzwanzig oder dreißig Schritt maß. Auf den Bögen stand ein aus Baumstämmen errichtetes Herrenhaus mit kleinen viereckigen Fenstern. Es hatte ein spitz zulaufendes, mit schweren Schieferplatten gedecktes Dach. Das Haus und das Dach befanden sich in einer genauso schlechten Verfassung wie die Türme. Wären nicht zwei der Fenster von innen flackernd erleuchtet gewesen, hätte man die gesamte Burg für unbewohnt und verlassen halten können. So hatte sich Thibor die Residenz eines großen, bedeutenden Bojaren nicht vorgestellt. Wäre er ein abergläubischer Mann gewesen, hätte er wohl leicht zu der Überzeugung kommen können, dass an diesem Ort Teufel lebten.
Die Reihen der Wölfe wurden lichter, als sie sich dem Mauerwerk der Burg näherten. Erst als der Wallache im Schatten dieser Mauern stand, sah er die einfachen Verteidigungsanlagen der
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