Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
Die Stärke dieser Verlockung war enorm. Das hatte er erst erkannt, nachdem George zurückgekehrt war. Aus seinem Grab im Friedhof von Blagdon – von den Toten zurückgekehrt. Das war zuerst für ihn ein Schock gewesen, dann hatte es seine Neugier geweckt, und schließlich war es zur Offenbarung geworden! Denn es hatte Yulian Einblick gegeben in das, was er war. Nicht »wer«, sondern »was« er war. Und ganz gewiss war er mehr als nur der Sohn von Ilya und Georgina Bodescu!
Yulian war sich bewusst, dass er nicht ganz menschlicher Natur war, dass ein Teil seiner selbst sogar absolut un menschlich war, und dieses Wissen erregte ihn aufs Höchste. Er war in der Lage, Menschen zu hypnotisieren, bis sie alles taten, was er wollte. Er konnte aus sich selbst heraus neues Leben erschaffen, zumindest Leben einer nichtmenschlichen Art. Er konnte lebende Wesen, Menschen, in ähnliche Geschöpfe wie sich selbst verwandeln. Natürlich waren sie nicht so stark wie er, hatten auch nicht seine vielfältigen Fähigkeiten, doch das war ja gut so! Die Verwandlung machte sie zu seinen Sklaven und ihn zu ihrem absoluten Herrn und Meister.
Darüber hinaus war er ein Nekromant: Er konnte Leichen öffnen und ihnen ihre im Leben angesammelten Geheimnisse entreißen. Er konnte sich wie eine Katze anschleichen, wie ein Fisch schwimmen und wie ein Wolf reißen. Ihm war schon der Gedanke gekommen, dass er – sollten ihm Flügel wachsen – sogar wie eine Fledermaus fliegen könnte. Wie eine Vampirfledermaus!
Neben ihm auf dem Nachttisch lag ein gewichtiges Buch mit dem Titel: Der Vampir in Wirklichkeit und Legende . Nun streckte er eine schmale schlanke Hand danach aus und berührte den schwarzen Leineneinband, fuhr mit der Fingerspitze die Form der Fledermaus nach, die dort eingeprägt war. Ein hochinteressantes Buch, wenn auch der Titel eine Anmaßung war, genau wie der Inhalt. Die meisten der aufgeführten Legenden waren Tatsachen, deren lebendiger Beweis er selbst war, und eine Menge der angeblichen Tatsachen waren frei erfunden.
Beispielsweise der direkte Sonnenschein: Der war keineswegs tödlich. Gut, er könnte ihn umbringen, sollte er so dumm sein, mehr als ein oder zwei Minuten lang mitten im Hochsommer ein »Sonnenbad« nehmen zu wollen. Es musste wohl an irgendeiner chemischen Reaktion liegen, glaubte er. Fotophobie war unter gewöhnlichen Menschen ja auch weit verbreitet. Yulian hütete sich vor dem Sonnenschein, hatte aber keinesfalls Angst davor. Es war einfach eine Vorsichtsmaßnahme, sonst nichts.
Was die angebliche Vorliebe betraf, den Tag über in einem Sarg, gefüllt mit Heimaterde, zu schlafen: absolut idiotisch! Natürlich schlief er gelegentlich während des Tages, jedoch nur, wenn er den größten Teil der Nacht über wach, in Gedanken versunken, oder im Garten hin und her tigernd verbracht hatte. Er bevorzugte die Nacht, denn in der Dunkelheit oder im blassen Mondschein fühlte er sich seinem Ursprung näher, begriff mehr von seiner eigenen Natur.
Und dann der Blutdurst eines Vampirs! Zumindest in seinem Fall stimmte das eben nicht! Der Anblick von Blut erregte ihn zwar, wühlte ihn innerlich auf, doch für ihn war es kein Genuss, dieses dann aus den Adern eines Opfers zu trinken, wie es in unzähligen Erzählungen behauptet wurde. Allerdings hatte er eine Vorliebe für rohes Fleisch in großen Mengen, während er nie etwas für »Grünzeug« übriggehabt hatte. Andererseits hatte sich das Ding, das Yulian in dem Becken im Keller aufgezogen hatte, von Blut ernährt! Von Blut, Fleisch und generell allem, was lebte oder gelebt hatte. Es musste nicht unbedingt essen, das wusste Yulian, doch wenn es eine Gelegenheit dazu hatte, nutzte es sie. Es hätte auch George in sich aufgenommen, hätte er es nicht daran gehindert.
Jener Andere … Yulian durchlief ein entzücktes Schaudern. Er war sein absoluter Herr, und Es kannte nichts anderes als ihn. Er hatte Es aus einem Stück seiner selbst gezüchtet. Die Erinnerung daran kam mit einer wohligen Zufriedenheit.
Kurz nachdem er von der Schule gewiesen worden war, lockerte sich der erste jener Zähne, die er als seine endgültigen – zweiten – betrachtet hatte. Es war ein Backenzahn gewesen, und er hatte ihm einige Schmerzen bereitet. Doch zum Zahnarzt wollte er nicht gehen. Also zog und drückte er so lange daran herum, bis er sich eines Nachts endlich löste. Er untersuchte den Zahn sorgsam, weil es ihm so eigenartig erschien, dass er einen Teil seines Selbst
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