Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
jemals in den Armen eines Mannes wirklich und wahrhaftig erfüllt gefühlt? Keine einzige! Sie glaubten das lediglich, weil sie es nicht anders kannten. »Erfüllt?« Vollständig ausgefüllt? Von einem bloßen Mann? Absolut unglaubwürdig! Aber von einem Vampir …?
Yulian wandte sich ein wenig zur Seite und musterte in der mondscheindurchdrungenen Dunkelheit seines Zimmers das Mädchen neben sich. Seine Cousine Helen. Sie war sehr schön, und sie war sehr unschuldig gewesen. Nicht ganz rein, aber doch fast. Wer hatte ihr die Jungfräulichkeit geraubt? Aber was bedeutete das schon! Er jedenfalls hatte ihr nichts genommen und nicht viel gegeben. Sie hatten sich eine Stunde lang etwas unbeholfen geliebt.
Und jetzt? Jetzt wusste sie, wie das war, »erfüllt« zu sein. Und ihr war vollständig klar, dass er sie wirklich bis zum Bersten erfüllen konnte – sie buchstäblich zu Tode lieben.
Er musste unwillkürlich schmunzeln. Der Andere war nicht der Einzige, der Fühler ausstrecken konnte, sich selbst in einen anderen hinein verlängern. Yulian unterdrückte ein Auflachen, streckte die Hand aus und streichelte mit täuschender Zärtlichkeit Helens kühle runde Hüfte.
Obwohl sie tief schlief und die Träume der Verdammten träumte, bebte sie leicht unter seiner Berührung. Sie bekam eine Gänsehaut und ihre Atmung beschleunigte sich. Sie stöhnte leise in ihrem hypnotischen Schlaf. Er beherrschte die Macht der Hypnose, so wie die der Telepathie, die ihr verwandt war.
Nirgends in der Literatur – von gelegentlichen Hinweisen in den besseren Erzählungen einmal abgesehen – hatte Yulian irgendwelche Erwähnungen bezüglich der Macht des Vampirs über andere durch Ausübung seines bloßen Willens oder über das Lesen der Gedanken anderer auf eine gewisse Entfernung gefunden. Doch gerade das gehörte zu seinen besonderen Talenten. Diese Fähigkeiten waren bei ihm wie alle anderen noch nicht ganz ausgebildet, aber sie existierten zweifellos. Wenn er sein Opfer einmal berührt und dessen Körper entweiht hatte, war derjenige für ihn wie ein offenes Buch, auch auf einige Entfernung. Selbst jetzt, wenn er auf eine bestimmte Weise geistige Fühler ausstreckte, spürte er die dumpfen unausgefüllten Gedanken des Anderen. Eigentlich waren es noch nicht einmal Gedanken, sondern lediglich das instinktive, noch nicht ausgebildete Bewusstsein des Anderen, das eher dem eines Tieres glich. Der Andere war sich seiner selbst etwa auf die gleiche Weise bewusst wie eine Amöbe, und da er ein Teil Yulians gewesen war, konnte dieser ihn geistig berühren.
Da er mittlerweile Helen, Anne, George und Georgina genommen – benutzt hatte –, war er in der Lage, sie alle wahrzunehmen. Er zog seine wandernden Gedanken von dem Anderen ab und ließ sie weiterschweifen … und da war Anne, die in einer kalten feuchten Ecke des alten Kellers schlief. Und da war George. Nur – George schlief nicht.
George. Yulian war bewusst, dass er in Kürze etwas in Bezug auf George unternehmen musste. Er verhielt sich nicht so, wie er sollte. Da war ein gewisser Widerstand zu spüren. Anfangs hatte er ganz unter Yulians Kontrolle gestanden, genau wie die Frauen. Doch kürzlich …
Yulian konzentrierte sich auf Georges Geist, bohrte sich förmlich in seine Gedanken hinein, und – ein Abgrund schwarzen Hasses, durchsetzt mit heißem Zorn! Auch Begierde spürte er – eine bestialische Begierde, die Yulian kaum fassen konnte – und nicht nur eine Gier nach Blut, sondern auch nach … Rache?
Mit einem mentalen Stirnrunzeln zog sich Yulian aus Georges Geist zurück, bevor dieser ihn bemerkte. Offenbar würde er sich früher, als er gedacht hatte, mit seinem Onkel auseinandersetzen müssen. Er hatte sich bereits entschlossen, ihn zu verwenden – wusste auch schon genau, auf welche Weise –, doch nun musste er ganz präzise vorausplanen. Morgen vielleicht. Wenn er diese nichts ahnende untote Kreatur weiterhin im Keller herumtoben ließ, und …
Was war das?
Die Härchen in seinem Nacken sträubten sich. Yulian schwang seine Beine aus dem Bett und stand auf.
Es war keine der Frauen gewesen, und George hatte er gerade eben erst verlassen, also – wer war es dann? Jemand ganz in der Nähe dachte an Harkley House und sogar an ihn!
Yulian ging zum Fenster und spähte zwischen den Vorhängen hindurch in die Nacht hinaus.
Er ließ seinen Blick über die alten verfallenden Gebäude schweifen, über die Kieswege, das Gestrüpp, den Hain, die hohe Gartenmauer
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