Brian Lumleys Necroscope: Buch 2 - Vampirbrut (German Edition)
abgestoßen hatte. Weißer Knochen und rote Wurzel. Er hatte ihn auf eine Untertasse gelegt und auf das Fensterbrett seines Zimmers gestellt. Am nächsten Morgen hatte es geklappert, als der Zahn zu Boden fiel. Rundherum waren winzige weiße Wurzelfäden gewachsen, und wie ein Einsiedlerkrebs hatte der Zahn sich von selbst zum Tellerrand gezogen, um dem morgendlichen Sonnenschein zu entkommen.
Yulians Zähne – bis auf jene Backenzähne – waren immer schon messerscharf gewesen, wie kleine Meißel, aber trotzdem eben menschliche Zähne. Bestimmt keine tierischen. Der Zahn jedoch, der den anderen herausgeschoben hatte, war alles, nur kein normaler Menschenzahn. Es war eindeutig ein Reißzahn! Seither waren die meisten seiner Zähne durch solche Reißzähne ersetzt worden. Besonders die Eckzähne! Und auch die Kieferknochen hatten sich verändert, um ihnen Platz zu bieten.
Manchmal dachte er: Vielleicht bin ich selbst der Grund für all diese Veränderungen. Möglicherweise verursache ich das alles. Durch meine Willenskraft. Herrschaft des Verstands über die Materie. Weil ich eben böse bin.
Das hatte ihm Georgina gelegentlich vorgeworfen, als er noch klein war und auch noch auf sie hörte. Wenn er etwas gegen ihren Willen getan hatte, war er »böse gewesen«. Beispielsweise, als er mit seinen nekromantischen Experimenten begonnen hatte. Ach, seither hatte er so viele Dinge getan, die ihr absolut nicht recht gewesen waren!
Georgina – seine »Mutter« – war vor Angst gelähmt, wie ein Huhn, das mit einem Fuchswelpen eingesperrt war, der vor ihren Augen heranwuchs, schlank und kräftig und tödlich. Die Kontrolle, die sie ursprünglich über ihn ausgeübt hatte, war ihr entglitten und in seine eigenen Hände übergegangen. Es lag an seinen Augen; er musste sie nur mit diesen Augen anblicken, und sie hatte keine Kraft mehr – war machtlos ihm gegenüber. Den Lehrern und Mitschülern im Internat war es genauso ergangen. Und er hatte geübt und es zur Meisterschaft auf dem Gebiet der Hypnose gebracht. In dieser Hinsicht jedenfalls hatte das Buch recht: Der Vampir war in der Lage, seine Beute vollständig zu hypnotisieren.
Und wie stand es mit der Sterblichkeit – oder Unsterblichkeit, dem »untoten« Dasein? Das stellte immer noch ein Rätsel für ihn dar, aber eines, das er bald lösen wollte. Dank George gab es nicht mehr viel, was er nicht herausbekommen konnte. Denn George war in hohem Maß immer noch ein Mensch. Aus dem Grab zurückgekehrt, untot, aber sein Fleisch war nach wie vor das eines Menschen. Und das Ding in ihm konnte in so kurzer Zeit noch nicht sehr stark gewachsen sein. Im Gegensatz zu jenem Anderen, obwohl gerade Es sehr, sehr viel Zeit hatte.
Yulian hatte selbstverständlich mit dem Anderen experimentiert. Das hatte erst sehr dürftige Ergebnisse erbracht, aber immerhin besser als gar nichts. Den Erzählungen nach erlagen Vampire dem angespitzten Pfahl. Der Andere ignorierte den Pfahl jedoch, schien unempfindlich dagegen. Der Versuch, ihn zu pfählen, hatte in etwa die Wirkung, als wollte man auf Wasser einen Abdruck hinterlassen. Manchmal konnte der Andere durchaus in festem Zustand erscheinen, Zähne bilden, rudimentäre Hände, sogar Augen. Doch meist war er wie Protoplasma, wie Gelatine. Wie sollte man da einen Pfahl durch sein »Herz« treiben oder ihm den »Kopf« abschlagen?
Dennoch war er nicht unzerstörbar, nicht unsterblich. Er konnte durchaus sterben oder getötet werden. Yulian hatte einen Teil davon in einem Ofen unten im Keller verbrannt. Und das hatte dem Ding nun wirklich nicht gefallen! Ihm selbst hätte das gewiss auch nicht gepasst, ganz klar! Das führte zu einem Gedanken, der ihm häufig durch den Kopf ging: Sollte man ihn je entlarven, sollten andere Menschen herausfinden, was er wirklich war, würden sie dann versuchen, ihn zu verbrennen? Wahrscheinlich schon. Doch wer konnte ihn schon entlarven? Und wenn, wer würde ihm dann Glauben schenken? Die Polizei hörte sich wohl kaum eine Geschichte über Vampire an, oder? Andererseits, da gab es doch diesen örtlichen Satanistenkult. Die würden möglicherweise daran glauben!
Wieder lächelte er auf jene schreckliche Art. Jetzt mochte er sich darüber amüsieren, doch als die Polizei am Tag, nachdem George aus dem Grab zurückgekehrt war, vor seiner Tür gestanden hatte, war ihm nicht so froh ums Herz gewesen.
Fast hätte er sich zu einem verhängnisvollen Fehler hinreißen lassen, er hatte zu defensiv reagiert.
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