Brian Lumleys Necroscope Buch 3: Blutmesse (German Edition)
»Du weißt, dass du dir über diese Dinge keine Gedanken mehr machen solltest. Dieser Teil deines Lebens ist vorbei. Du musstest einen Job erledigen, und du hast es getan. Du hast mehr getan, als irgendein anderer hätte tun können. Und auch wenn all das gewisse, na ja, Veränderungen bewirkt hat, so weißt du doch, dass du immer noch du selbst bist.«
»Aber im Körper eines anderen Mannes«, antwortete er bitter.
»Alec war tot, Harry.« Sie formulierte es so brutal, weil man es nur so sagen konnte. »Eigentlich war er sogar schlimmer dran, als wenn er tot gewesen wäre, denn von seinem Verstand war nichts übrig – so wenig wie von seiner Seele. Und außerdem hattest du gar keine Wahl.«
Harrys Gedanken, angeregt von der Stimme seiner Mutter, trugen ihn zurück, zurück in die Zeit vor acht Jahren.
Alec Kyle war mit einer Mission in Rumänien betraut gewesen – er musste die Überreste eines menschlichen Vampirs vernichten, die dort im Boden lagerten. Thibor Ferenczy war damals schon tot gewesen, aber er hatte einen Teil von sich in der Erde hinterlassen, der den Boden verseuchte und damit jeden, der in die Nähe dieser Stelle kam. Kyle hatte Erfolg gehabt und das Ding vernichtet. Als er nach England zurückkehren wollte, war er von russischen Espern abgefangen worden. Er war heimlich nach Russland, in das Schloss Bronnitsy ausgeflogen worden, das damals das Hauptquartier des sowjetischen E-Dezernats war, wo er einer besonders perfiden Methode der Gehirnwäsche unterworfen wurde. Sein Verstand war elektronisch entleert worden, seinem Hirn war buchstäblich alles Wissen entzogen worden. Alles Wissen. Er war nicht nur grellen weißen Lichtern, Gummischläuchen, Wahrheitsdrogen und Ähnlichem ausgesetzt gewesen, sondern man hatte ihm den gesamten Verstand gewaltsam und überflüssigerweise herausgezogen wie einen gesunden Zahn und die Inhalte dann verworfen. Im Verlauf des Prozesses hatten sowjetische Telepathen die Informationen gestohlen, die für sie nützlich waren, und so alle Geheimnisse ihrer Feinde, der englischen Esper, erfahren. Als sie mit Kyle fertig waren, wurde er noch für eine Weile am Leben gehalten, aber sein Verstand war völlig leer, ausgesaugt. Wenn man ihn von der Herz-Lungen-Maschine abgekoppelt hätte, wäre sein Körper gestorben, weil seinem Verstand die nötigen Informationen entzogen waren, um den Körper am Leben zu halten. Genau das war die Absicht seiner Folterer. Sie wollten ihn sterben lassen, und seinen Körper sollte man dann irgendwo in West-Berlin finden. Kein Pathologe auf der weiten Welt hätte mit Sicherheit sagen können, woran er gestorben war.
So sollte es passieren. Nur ... während Alec Kyle eine Hülle war, ein leerer Geist in einem lebenden Körper, war der damalige Harry Keogh nur Geist! In dieser Gestalt, als ein körperloser Bewohner des Möbius-Kontinuums, war Harry auf der Suche nach Kyle gewesen, hatte ihn gefunden, und der Rest verlief beinahe ohne sein Dazutun. Ein Vakuum widerstrebt der Natur, sowohl in der physikalischen wie auch der metaphysischen Welt. Das normale Universum kann mit einem körperlosen Wesen nichts anfangen. Und Kyles Hirn war eine unnatürliche Leere gewesen. So war Harrys Geist mit Kyles Körper verschmolzen.
Es war seitdem sehr viel geschehen.
Harry riss sich zusammen, um nicht so missmutig zu wirken, und starrte sein Spiegelbild in dem stillen Wasser noch intensiver an. Sein Haar – oder Alecs? – war kastanienbraun, dicht und lockig. Aber in den letzten Jahren war der Glanz zum größten Teil verschwunden, und graue Strähnen kamen deutlich zum Vorschein. Es würde nicht mehr lange dauern, bis das Grau die Oberhand gewinnen und das Braun übertünchen würde, obwohl Harry noch nicht einmal dreißig war. Seine Augen waren honigbraun, sehr groß, sehr aufgeweckt und – so seltsam das auch klingen mochte – sehr unschuldig! Selbst jetzt, trotz allem, was er gesehen, erlebt und erfahren hatte, blickten sie immer noch unschuldig drein. Man konnte zwar einwenden, dass manche Mörder die gleichen Augen haben, aber bei Harry war dieser Eindruck weitgehend echt. Er hatte nicht darum gebeten, das zu sein, was er war, oder dazu gezwungen zu sein, die Dinge zu tun, die er getan hatte.
Seine Zähne waren kräftig, nicht ganz weiß und ein wenig schief; sie saßen in einem Mund, dessen Ausdruck ungewöhnlich empfindsam war, der aber auch grausam und sarkastisch sein konnte. Er hatte eine hohe Stirn, auf der er immer wieder nach
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