Brian Lumleys Necroscope Buch 3: Blutmesse (German Edition)
mit den unzähligen Toten, verloren und vergessen, einsam und verlassen, die auf ewig ihre toten Gedanken in der kalten Erde denken würden, und die nie erfahren würden, dass sie nicht allein sind? Du hast das alles geändert, Harry. Und es gibt kein Zurück. Hah! Wenn du nicht so gewesen wärst, wie du warst ...«
Er nickte bedächtig vor sich hin. Natürlich hatte sie Recht. Dann hob er einen Kiesel, ließ ihn ins Wasser fallen und die Wellenkreise löschten sein Spiegelbild aus. »Und doch«, sagte er, als sich sein Ebenbild langsam wieder formte, »würde ich gerne wissen, wo sie hin sind. Ich möchte mich vergewissern, dass es ihnen gut geht. Bist du sicher, Mama, dass du nicht irgendetwas gehört hast?«
»Von den Toten? Harry, es gibt unter uns niemanden, der dir nicht helfen würde. Glaub mir, wenn Brenda und Klein-Harry ... wenn sie bei uns wären, wärst du der Erste, der das erfahren würde. Wo auch immer sie sind, sie sind noch am Leben, mein Sohn. Darauf kannst du dich verlassen.«
Er überlegte und rieb sich müde die Stirn. »Weißt du, Mama, ich begreife das einfach nicht. Wenn jemand in der Lage sein sollte, sie zu finden, dann doch wohl ich. Und ich habe nicht einmal eine Spur von ihnen entdeckt! Als sie verschwunden sind, habe ich die Leute vom E-Dezernat nach ihnen suchen lassen. Sie konnten sie nicht finden. Ein paar von ihnen haben sogar mit sehr viel Fingerspitzengefühl, wie du dir denken kannst, die Idee geäußert, dass Brenda und das Baby tot sein könnten. Und als ich den Job dann sechs Monate später Darcy Clarke übergab, war wohl jeder davon überzeugt, dass sie tot sind. Die E-Branche hat Leute, die jeden überall finden können – Fährtensucher, die psychische Emanationen auf der anderen Seite der Erde wahrnehmen –, aber auch die konnten meinen Sohn nicht finden. Und Harrys Talente waren bei Weitem größer als meine eigenen. Aber deine Leute« – er redete von der Großen Mehrheit, von den Toten – »behaupten, dass die beiden am Leben sind, dass sie am Leben sein müssen, weil sie nicht unter den Toten sind. Und ich weiß, dass keiner von euch mich belügen würde. Und dann frage ich mich, wenn sie nicht tot sind, aber auch nicht hier, wo ich sie finden kann – wo zum Teufel stecken sie dann? Das frisst mich auf.«
Er konnte ihr Nicken fühlen, spürte, wie sehr er ihr leidtat. »Ich weiß, mein Sohn, ich weiß.«
»Und was die Suche mit herkömmlichen Mitteln angeht ...«, fuhr er fort, als hätte er sie nicht gehört, »... gibt es irgendeinen Ort auf der Welt, wo ich nicht nach ihnen gesucht habe? Aber wenn das E-Dezernat sie nicht finden konnte, welche Chance habe ich dann?«
Harrys Mutter hatte das alles schon oft gehört. Das war zur Besessenheit bei ihm geworden, der einzigen Leidenschaft in seinem Leben. Er war wie ein Spieler, der dem Roulette verfallen ist und dessen einziger Traum darin besteht, ein »System« zu finden, wo es keines gibt. Er hatte fast fünf Jahre mit der Suche verbracht und weitere drei damit, die verschiedenen Phasen der Suche zu koordinieren. Und alles hatte ihn nicht weitergebracht. Sie hatte versucht, ihm so weit wie möglich zu helfen, aber bisher war es nur ein langes und bitter enttäuschendes Unterfangen gewesen.
Harry stand auf und klopfte sich ein wenig Staub von der Hose. »Ich gehe jetzt zum Haus zurück, Mama. Ich bin müde. Ich bin schon seit langer Zeit sehr müde. Ich glaube, ich könnte einen langen erholsamen Schlaf gebrauchen. Manchmal glaube ich, es wäre gut, wenn ich einfach nur abschalten könnte ... wenn ich nicht immerzu an die beiden denken müsste.«
Sie wusste, was er meinte. Er hatte das Ende seiner Suche erreicht; es gab nichts mehr, wo er noch suchen konnte.
»Das stimmt«, bestätigte er und wandte sich vom Flussufer ab. »Es gibt keinen Ort mehr, wo ich noch suchen könnte, und es würde wohl auch nicht mehr viel Sinn haben. Nichts ergibt mehr irgendeinen Sinn ...«
Mit hängendem Kopf lief er in jemanden hinein, der sofort seinen Arm ergriff, damit er nicht stürzte. Zuerst erkannte Harry den Mann nicht, aber die Erinnerung setzte relativ schnell wieder ein. »Darcy? Darcy Clarke?« Harry begann zu lächeln, aber das Lächeln gefror sofort auf seinem Gesicht. »Ah ja – Darcy Clarke«, sagte er, jetzt mit weit weniger Begeisterung. »Du wärst nicht hier, wenn du nicht etwas von mir wolltest. Ich dachte, ich hätte euch klargemacht, dass ich mit all dem fertig bin.«
Clarke musterte Harrys Gesicht,
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