Bride 02 - Tempel Der Liebe
beschwichtigend. »Ich bin erst seit kurzem hier und fühle mich bereits ruhelos. Halten sich denn alle an die Vorschriften? Geht keiner jemals in die Stadt oder ins Landesinnere? Es wäre interessant, mehr von diesem Land zu sehen.«
Die meisten waren entsetzt. Ein blonder Holländer sagte: »Wir würden nicht weit kommen, wenn wir es versuchten! Wir fremden Teufel sind einfach zu auffällig.«
»Die portugiesischen Jesuiten bereisen China. Vielleicht könnte ein Händler es auch tun, wenn er einen langen schwarzen Mantel trüge.« Maxwells Tonfall klang beiläufig. Aber Troth spürte, dass er sehr gespannt war, was die anderen dazu sagen würden.
Boynton schüttelte den Kopf. »Es stimmt, dass der Kaiser den Jesuiten erlaubt, China zu bereisen. Aber auch sie dürfen sich nicht frei bewegen. Sie brauchen Einreisegenehmigungen und Führer. Alles ist stark reglementiert. Wirklich schade, auch ich wäre versucht, es in einem schwarzen Mantel zu versuchen.« Seine Bemerkung erntete ein paar Lacher.
»Dann muss ich mich wohl mit einem Rundgang auf der Hog Lane zufrieden geben. Vielleicht gehe ich morgen dorthin. Nach dem heutigen Abend wird sie mir gewiss noch exotischer vorkommen«, merkte Maxwell mit leicht ironischem Tonfall an. »Ist diese Straße wirklich so verrucht wie man hört?«
»Dort wird der teuflischste Schnaps von ganz Asien serviert. Sie können europäische Seeleute herumtorkeln und bewusstlos in der Gosse liegen sehen«, sagte Logan. »Vielleicht fallen Sie einem Taschendieb zum Opfer. Da die Hog Lane aber zum Settlement gehört, wird Ihnen niemand ein Messer in den Rücken jagen. Dort sind Sie sicherer als in London.«
»Es hört sich so an, als sei die Hog Lane recht ungefährlich im Vergleich zu anderen Häfen. Wenn ich da zum Beispiel an Kalkutta denke ...«
Maxwells Bemerkung regte eine Diskussion über die verruchtesten Häfen an. Dabei mangelte es nicht an wortreichen Beschreibungen. Troth fand das alles recht aufschlussreich. Allerdings fragte sie sich, wie viel davon wirklich stimmte und was reine Übertreibung war.
Als die Gäste sich verabschiedeten, war die schlechte Stimmung wieder verflogen. Troth gesellte sich zu den anderen Dienern. Jetzt verstand sie, warum Elliott sie gebeten hatte, auf Maxwell aufzupassen. Seine Offenheit konnte ihn in Schwierigkeiten bringen.
KAPITEL 6
Am nächsten Abend arbeitete Troth sehr lange. Sie hatte für Boynton in der English Factory Briefe zu übersetzen und zu schreiben. Als Chenquas Angestellte war es ihre Pflicht, besondere Aufgaben für die Kaufleute zu übernehmen, die Kunden ihres Herrn waren. Sie war dankbar dafür, eine Ausrede zu haben, heute nicht in Elliotts Hong zu arbeiten. So riskierte sie nicht, Maxwell zu begegnen. Er hatte sie letzte Nacht bis in ihre Träume verfolgt. Schwitzend und gedemütigt war sie erwacht. Zum Glück würde er bald abreisen und nie mehr zurückkommen.
Heute Abend hatte er vorgehabt, sich die Hog Lane anzusehen. Würde er Gefallen an dem Viertel finden? Für einen Mann, der so viel gereist war wie er, würden die örtlichen Kaschemmen und die Huren sicher nichts Besonderes sein. Wie sie ihn um seine Freiheit beneidete! Wenn sie doch nur als Mann geboren wäre!
Da sie in Gedanken immer wieder abschweifte, brauchte sie für ihre Arbeit länger als sonst. Ihre Schrift war krakelig und so musste sie mehrere Briefe noch einmal schreiben. Erschreckt fuhr sie hoch, als die Uhr im Kontor Mitternacht schlug. Vielleicht würde sie morgen früh auf ihre Übungen verzichten und ausschlafen.
Gähnend verließ sie die English Factory. Der Wächter am Tor nickte ihr zum Abschied zu. Er wusste, dass sie oft lange zu tun hatte.
Am Hafen war es sehr ruhig, obwohl die belebte und laute Hog Lane nur einige Straßen entfernt lag. Ein paar Sampans glitten lautlos über das Wasser. Sie ging auf eine Reihe von Taxibooten zu, um sich zur Insel Honam bringen zu lassen. In diesem Augenblick näherte sich leise eine dunkle Gestalt. »Jin Kang?«
Sie erkannte die Stimme des jungen Mannes. Er arbeitete in einer Kneipe auf der Hog Lane und ließ ihr ab und zu recht brauchbare Informationen zukommen. »Guten Abend, Teng. Wieso bist du um diese Zeit nicht bei der Arbeit?«
Teng kam näher und flüsterte: »Ich habe etwas gehört, was du erfahren solltest.«
Er wusste offensichtlich auch, dass sie so spät noch zu tun gehabt hatte. Man konnte auf diesem schmalen Streifen Land keine Geheimnisse haben. »Es ist schon sehr spät.«
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