Bride 02 - Tempel Der Liebe
Sheng drückten sich an die Felswand, um die Sänfte vorbeizulassen, deren Insasse sich hinter zugezogenen Vorhängen versteckt hielt. Die sehnigen Träger trabten trotz der starken Steigung schnell an ihnen vorüber.
Nachdem sie verschwunden waren, murmelte Kyle: »Gehen sie so schnell, weil sie an die Wiedergeburt glauben, für den Fall, dass sie abstürzen?«
Troth lächelte. »Sie sind wahrscheinlich darauf spezialisiert, Kranke und Invalide zum Tempel zu bringen, und haben diesen Weg sicher schon sehr oft zurückgelegt.«
»Besser sie stürzen ab als ich.« Kyle blickte besorgt in die tiefe Schlucht zu seiner Linken. »Die Erbauer von Hoshan wollten gewiss nicht, dass der Tempel leicht zugänglich ist.«
»Wenn man den Tempel ohne Mühen erreichen könnte, wäre es ja nichts Besonderes mehr.«
Weitere Reisende näherten sich, deshalb schwiegen sie jetzt. Der Pfad endete am Seeufer, wo eine Handvoll Händler den Pilgern ihre Dienste anbot. Nachdem sie Sheng in einen Stall gebracht hatten, kaufte Troth duftende Blumen und einen Strohkorb voller Früchte und anderer Opfergaben. Sie ließ Kyle die Blumen tragen. Dann nahm sie seinen Ellbogen und führte ihn zur Anlegestelle. Dort wartete ein Boot, um sie und einige andere Pilger auf die Insel zu bringen.
Kyle wurde immer unruhiger. Am Ruder saß ein starker Mann in grauer Robe. Das Boot glitt wie eine Schwalbe über das Wasser. Was wäre, wenn er diesen weiten Weg gereist wäre und nichts finden würde außer einem schönen Tempel? Er war auf der Suche nach Erkenntnissen, die er nicht benennen konnte. Auf seiner langen Reise in viele Länder hatte er etliche Tempel besucht. Manchmal hatte er das Gefühl gehabt, dem Gesuchten ganz nahe gekommen zu sein. Aber nie nahe genug.
Als sie auf der Insel landeten, half Troth Kyle vom Boot herunter. Sie erwies ihm den Respekt, den sein Alter und sein gebrechlicher Zustand erforderten. Dann begleitete sie ihn zu den breiten Stufen, die zum Eingang des Tempels führten. Mit pochendem Herzen starrte er durch die Gaze. Er versuchte die Einzelheiten des Gebäudes zu erkennen, das nun schon so lange seine Vorstellungskraft beflügelt hatte. Die vergoldeten Fabeltiere, die an den Firststangen entlang marschierten, und die vollendeten, harmonischen Proportionen des Bauwerks bezauberten ihn.
Am stärksten jedoch spürte er die reine Kraft dieses Ortes. Es war wie in der heiligen Höhle von Kuan Yin, nur noch hundertmal stärker. Hoshan strahlte heilige Energie aus. Sie ließ ihn Demut empfinden und schenkte ihm gleichzeitig Erleuchtung. Er konnte es mit jeder Faser seines Körpers spüren.
Mönchsgesang erklang aus dem hohen Torbogen des Eingangsportals. Die Stimmen klangen überirdisch schön. Troths Griff um seinen Ellbogen wurde fester. Man hätte aus Stein sein müssen, um nicht von Hoshan beeindruckt zu sein.
Sie traten aus der Sonne in den sagenumwobenen Tempel. Das Heiligtum hatte eine hohe, blaue, mit Gold verzierte Kassettendecke und war von vielen hundert Kerzen erleuchtet. Es duftete nach Sandelholz und Weihrauch. Kyle konnte die würzige Luft geradezu schmecken.
Schreine anderer Götter waren in einem Halbkreis im Heiligtum aufgestellt. Aber es war die große Statue des Buddha, die golden und heiter alles überragte und seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Hier war das Herz des Tempels. Die der Statue innewohnende Kraft war durch zwanzig Jahrhunderte des Betens noch verstärkt worden.
Die meisten Mönche saßen im Lotussitz und beteten singend mit einer Intensität, die Kyle durch Mark und Bein ging. Einige Mönche hatten die Aufgabe, sich um die Besucher zu kümmern. Als sich einer von ihnen näherte, verbeugte Troth sich vor ihm. Sie sprach leise mit ihm und gab ihm ein paar Silbermünzen. Er nahm sie mit einem kurzen Nicken entgegen und reichte ihr ein halbes Dutzend lange Räucherstäbchen, die bereits angezündet waren.
Mit festem Griff führte Troth Kyle nach vorne, damit sie die Blumen und die Früchte vor den Altar legen konnten. Während der Reise hatte Troth erklärt, dass man nicht das Bildnis der Gottheit verehrte, sondern den Geist, den es darstellte. Trotzdem sah das Gesicht des Buddha im flackernden Kerzenlicht beinahe lebendig aus. Sein Blick war so durchdringend. Es war leicht zu verstehen, warum manche Menschen die Statue an sich für göttlich hielten.
Nachdem sie wieder einige Schritte zurückgetreten waren, gab Troth Kyle drei Räucherstäbchen. Am Vorabend hatte sie ihm das Ritual
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