Bride 02 - Tempel Der Liebe
die vermutlich Schwerverbrechern vorbehalten waren.
Seine Bewacher führten ihn lange, feuchte Gänge entlang, die von etlichen Türen gesäumt waren. In manchen der winzigen Fensteröffnungen tauchten bleiche, verzweifelte Gesichter auf, die dem Neuankömmling nachblickten. Viele waren so abgestumpft, dass sie beim Anblick des Ausländers nicht einmal Erstaunen zeigten.
Der Wächter öffnete die letzte Tür und stieß sie auf. Eine enge Zelle war zu sehen. Wasser glitzerte an den rauen Steinwänden. Ein Haufen feuchtes Stroh war das einzige Mobiliar.
Kyle wollte rasch eintreten, aber der Sergeant herrschte ihn an: »Fan-qui!« Dann schlug er mit dem Griff seines Säbels auf Kyles Oberkörper ein. Sofort folgten die anderen Wachen seinem Beispiel, froh über die Gelegenheit, an jemandem ihren Hass auszulassen.
Kyle wurde von rasendem Zorn gepackt. Er würde sterben und Troth war in Sicherheit, es gab also keinen Grund, sich nicht zur Wehr zu setzen. Er schwang seine Ketten wie eine Waffe und schlug den Sergeant zu Boden, dann mähte er die anderen nieder. Wenn er Glück hatte, würde er hier und jetzt sterben, im Kampf, und nicht wie ein Verräter durch die Kugeln eines Exekutionskommandos.
Das wütende Gebrüll seiner Opfer rief noch mehr Wachen herbei. Schnell hatten sie ihn überwältigt. Als einige der Männer weiter auf ihn einschlagen wollten, gebot der blutende Sergeant mit einem knappen Befehl Einhalt. Kyle wurde mit derartiger Gewalt in den winzigen steinernen Kerker gestoßen, dass er an die gegenüberliegende Wand prallte.
Als nichts als Dunkelheit um ihn war, dankte er noch einmal inbrünstig dafür, dass Troth die Flucht gelungen war.
Bei ihrem kurzen Besuch im Gasthaus verschaffte sich Troth abgetragene Lumpen, die noch schäbiger und unauffälliger waren als alles, was sie am Leib trug. Sie verließ die Herberge gerade noch rechtzeitig. Im nächsten Augenblick traf eine Armeepatrouille ein und klopfte an die Tür.
Da die Straßen noch voll von feiernden Menschen waren, konnte sie leicht untertauchen und einen Unterschlupf finden. Sie kletterte über die Mauer, die eine kleine Tempelanlage umgab, verbrachte die Nacht im Garten, und als es anfing zu regnen, fand sie unter dem Tempeldach Schutz.
An Schlaf war nicht zu denken. Zu viele Fragen gingen ihr durch den Kopf. Außerdem plagte sie die Reue, dass sie nicht ihrem Instinkt gefolgt war und einen Umweg um Fengtang gemacht hatte. Wenn sie beide den Abend doch nur in ihren Betten verbracht hätten! Wenn sie doch nur nicht an dem Fest teilgenommen hätten! Wenn sie doch den direkten Weg nach Kanton gewählt hätten, der durch einen weniger bevölkerten Landstrich führte! So viele Wenn.
Die bittere Erkenntnis, dass Reue zwecklos war, brachte sie auf den Gedanken, wie sie am besten nach Kanton gelangte. Zuerst musste sie Chenqua aufsuchen. Der Vizekönig war ihm wohlgesonnen. Innerhalb weniger Stunden wären Truppen nach Fengtang unterwegs, um Kyle mitzunehmen. Sie fröstelte, als sie an Chenqua dachte. Er würde zornig und tief enttäuscht sein, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Beim ersten Tageslicht verließ sie die Tempelanlage. Es war Markttag. An einem Stand kaufte sie Obst, am nächsten in Dampf gegartes Brot. Dann schlenderte sie durch die Menge, kaum beachtet, da es wichtige Neuigkeiten zu besprechen gab.
Am Markt brodelte die Gerüchteküche. Zwei Dämonen wären erschienen, um den Säugling des Präfekten zu verwünschen. Einen hätte man gefangen genommen, nachdem er vor seiner Ergreifung fünf Männer niedergeschlagen hätte. Der zweite wäre kreischend im Dunkel der Nacht entflohen. Nein, nein! Keine Dämonen, Ausländer. Einer von ihnen läge jetzt im Stadtgefängnis in Ketten, während die Soldaten jeden Winkel nach dem anderen durchkämmten. Jeder, der die Stadt verließe, würde durchsucht werden. Jeden Karren durchsteche man mit Säbeln, damit der zweite ausländische Teufel nicht entkommen konnte.
Ein Glück, dass Troth in den Augen der Soldaten ebenfalls ein Fan-qui war. Dadurch würde es ihr ein Leichtes sein, die Stadt unerkannt zu verlassen. Sicherheitshalber wollte sie damit bis zum Nachmittag warten, wenn die Suche erlahmt war.
Sie trank gerade einen Schluck Tee an einem kleinen, überdachten Stand, als sich ein Standartenträger zu ihr gesellte und eine Tasse bestellte. Sie zog sich zurück, blieb aber in seiner Nähe, um mitzuhören. Begierig forderte ihn der Teeverkäufer auf: »Erzähl! Ist es
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