Bride 02 - Tempel Der Liebe
Kotau nichts anderes als eine Respektsbezeugung war, ähnlich einer Verneigung vor dem englischen König. Kyle beugte sich also nach vorn und berührte den kühlen Marmorboden dreimal mit der Stirn.
Nachdem er dem Protokoll Genüge getan hatte, packten ihn zwei Wachen kräftig unter den Achseln und hievten ihn auf die Beine. Gelassen blieb er vor dem Präfekten stehen. Ein Adjutant brüllte ihn auf Chinesisch an. Ebensogut hätte er taub oder stumm sein können: Er verstand kein Wort. Gott sei Dank! Troth war entkommen. Sie hätte übersetzen können, aber vermutlich hätte man sie als Chinesin viel schlimmer behandelt als ihn.
Dann blickte er in Wu Chongs Augen. Das Blut gefror ihm in den Adern, als er unverhohlenen Hass darin auflodern sah. Vielen Chinesen waren Ausländer verhasst, selbst wenn ihnen noch keiner begegnet war. Der Ausdruck in Wu Chongs Augen zeigte indes weit mehr als das. Wahrscheinlich bedeutete der Anblick eines Fan-qui am Festtag zu Ehren seines lang erwarteten Sohnes ein böses Omen und Wu Chong sann auf Rache.
Ein dickleibiger Händler wurde zwischen zwei Soldaten in den Audienzsaal gebracht. Das runde Gesicht war schweißbedeckt. Die Augen blickten verängstigt. Mit schnarrender Stimme erteilte Wu Chong ein paar knappe Anweisungen. Der Händler erbleichte und eine lebhafte Unterhaltung zwischen Wu, dem Kaufmann und einem Beamten, anscheinend dem obersten Adjutanten Wu Chongs, folgte. Kyle hatte den Eindruck, dass die beiden Letzteren Wus Meinung nicht teilten, aber nicht wagten, ihm offen zu widersprechen.
Kyle hatte sich auf das Kommende vorbereitet und war innerlich gefasst, als sich der Kaufmann an ihn wandte. Heftig schwitzend setzte der Mann zu einer Verbeugung an, hielt dann aber inne. »Ich bin Wang. Du Fan-qui- Spion.«
»Ich bin kein Spion«, erwiderte Kyle ruhig. »Ich hatte nur den Wunsch, einige der Herrlichkeiten des Himmlischen Königreiches zu sehen.«
»Spion«, wiederholte der Kaufmann unglücklich. »Präfekt dich bestrafen.« Er verstummte.
Kyle, dem der arme Bettler leid tat, fragte: »Wie soll ich bestraft werden?«
Wang senkte die Augen zu Boden. »Mit dem Tod.«
Die Endgültigkeit dieser Worte nahm Kyle den Atem. Er schwankte unmerklich. Großer Gott, eine so strenge Bestrafung hätte er wahrhaftig nicht erwartet. Es gab eine chinesische Gerichtsbarkeit, aber für ihn hatte man keine Verhandlung anberaumt. Die Erkenntnis war bitter, dass er als Ausländer vom chinesischen Rechtssystem ausgeschlossen war und nicht mehr Rechte hatte als eine Küchenschabe. Wenn der Präfekt seinen Tod wollte, so war er ein toter Mann.
Äußerlich bewahrte er die Ruhe und fragte kühl: »Und wie?«
»Aus Achtung vor den Methoden der ausländischen Teufel nicht Kopf abschlagen, sondern Fan-qui-Tod durch Erschießen.«
Jesus! Ein Exekutionskommando. Nun, er konnte nicht behaupten, man habe ihn nicht vor den Folgen gewarnt, gegen das kaiserliche Gesetz zu verstoßen und ins Inland zu reisen. Mit trockenem Mund fragte er: »Wann?«
»Am frühen Morgen. Übermorgen. Der Präfekt schenkt dir Zeit, um Frieden mit Göttern zu schließen.«
»Ich ... verstehe.« Er senkte den Kopf. »Meinen Dank, ehrenwerter Wang, für die Erklärung.«
Als sich der Kaufmann entfernte, arbeitete Kyles Hirn fieberhaft. Nur anderthalb Tage blieben ihm. Troth konnte Kanton nicht rechtzeitig erreichen, um Hilfe zu holen. Sogar ein Reiter mit einem schnellen Pferd wäre nicht in der Lage, ihn zu retten. Gott im Himmel sei Dank, dass sie entkommen war und bei der Exekution nicht neben ihm stand.
Ein eiskalter Schauer lief ihm bei diesem Gedanken den Rücken hinunter, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. Da ihm nichts als der sichere Tod geblieben war, erschien es ihm mit einem Mal sehr wichtig, auf welche Weise er starb. Er wollte nicht um sein Leben flehen, sondern aufrecht in den Tod gehen, und fühlte sich in seinem Entschluss bestärkt, als er Wu Chongs triumphierendes Grinsen sah, während die Soldaten ihn aus dem Audienzsaal abführten.
Vom Yamen aus wurde er in ein anderes Regierungsgebäude gebracht, einen hässlichen, gedrungenen Bau, der nach Angst und Abfällen stank. Ein riesiges Gefängnis für eine kleine Stadt. Wie viele Gefangene mochten hinter diesen Mauern gelitten haben? Wie viele waren hier umgekommen?
Im Wachraum wurden Kyles Fesseln durchtrennt und durch schwere, eiserne Hand-und Fußschellen ersetzt. Dann wurde er über eine steile Steintreppe zu den Kerkern hinuntergeschleppt,
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