Telefonnummern tauschten, habe ich nämlich durchblicken lassen, dass du verwitwet bist …«
»Du hast was?«
»Glaub mir, das ist um Längen besser als geschieden. Romantischer auf jeden Fall. Es klingt so authentisch.«
»Das heißt, du benutzt Marks Tod als Werbeargument, um mir einen Mann zu besorgen?«
Von oben Getrappel. Billy in seinem gestreiften Schlafanzug erschien auf der Bildfläche.
»Mummy, ich habe meine Matheaufgaben noch nicht gemacht.«
Talitha blickte kurz hoch und wandte sich wieder ihrem Smartphone zu.
»Sag Talitha ›Hallo-schön-dich-zu-sehen‹. Und guck ihr in die Augen dabei.« Es war mein üblicher Spruch bei Besuchen. Aber warum machen Eltern das? Sag »bitte«. Sag »hallo« etc. Denn wenn die Kids das im kleinen Kreis nicht gelernt haben, funktioniert es auch nicht im wahren Leben.
»Hallo, Talitha.«
»Hallo, mein Schatz«, sagte Talitha, den Blick starr auf ihr Smartphone gerichtet. »Ist er nicht entzückend?«
»Du hast deine Matheaufgaben gemacht, Billy, weißt du noch? Und zwar alle. Gleich am Freitagnachmittag.«
»Hier, wie wär’s damit?« Abermals sah Talitha nur kurz hoch.
»Aber da war noch ein Arbeitsblatt«, sagte Billy. »Da, siehst du? Vom Werkunterricht.«
Um Werken geht es denen schon lange nicht mehr. Über sechs Wochen hat Billy an einer kleinen Filzmaus gebastelt, nur um am Ende ein sogenanntes Arbeitsblatt zu kriegen, das Fragen stellte wie die folgende: »Welchen Zweck verfolgst du mit deiner Maus?«
Billy und ich sahen uns ratlos an. Wie ausführlich muss man solche Fragen beantworten? Ich meine, über die Philosophie einer Filzmaus könnte man ewig reden. Ich gab Billy einen Stift. Er setzte sich an den Küchentisch und reichte mir dann das Geschriebene.
Der Zweck der Maus war, eine Maus zu machen.
»Prima«, sagte ich. »Das reicht dicke. Und jetzt bringe ich dich wieder ins Bett, okay?«
Er nickte und legte seine Hand in meine. »Nacht, Talitha.«
»Sag Talitha gute Nacht.«
»Hab ich doch, Mummy.«
Mabel schlief fest in der unteren Etage des Stockbetts und hielt ihre Puppe im Arm.
»Kommst du noch mit kuscheln?«, fragte Billy, als er ins Bett kletterte. Unten saß zwar eine zunehmend ungeduldige Talitha, doch ich tat es trotzdem, zusammen mit Puffles Eins, Mario und Horsio.
»Mummy?«
»Ja?«, sagte ich beklommen, denn es war gut möglich, dass er jetzt nach Daddy fragte. Oder nach dem Tod.
»Wie hoch ist die Einwohnerzahl von China?« Mein Gott, sich über solche Sachen Gedanken zu machen! Er ist genau wie Mark. Welcher Teufel hat mich eigentlich geritten, dass mir ein unrasierter Lederjackenmann so wichtig war, der mich nicht einmal …
»Mummy?«
»Vierhundert Millionen«, log ich fix.
»Oh. Und warum schrumpft die Erde jedes Jahr um einen Zentimeter?«
»Ähm …« Ich musste nachdenken. Dass die Erde schrumpfte, war mir neu. Schrumpft der Planet insgesamt oder nur die Landmasse? Liegt es vielleicht an der Erderwärmung? Oder an der fürchterlichen Kraft der Wellen … Doch dann hörte ich, wie sein Atem ruhiger wurde und er einschlief.
Dann wieder nach unten gerannt, wo Talitha zufrieden auf ihr Werk blickte. »Okay, ich hoffe, es gefällt dir. Es war nicht leicht, aber ich denke, das kann man so stehen lassen.«
Sie gab mir ihr Smartphone.
»Du hast das doch nicht abgeschickt, oder?«
»Noch nicht. Aber der Text ist nicht schlecht. Man muss erst einmal sein Ego wieder aufbauen. Ich meine, dass du ohne ein Wort einfach verschwindest, muss er erst verdauen.«
»Aber klingt es nicht ein bisschen zu …«
»Es ist nur ein Frage. Und baut auf dem auf, was zwischen euch vorgefallen ist. Denk lieber nicht zu sehr darüber nach, du musst jetzt Nägel mit Köpfen machen.«
Sie nahm meinen Finger und rückte damit auf »Senden«.
»Neiiin! Du sagtest, du wolltest das nicht tun.«
»Soweit ich weiß, hast du gedrückt. Und könnte ich jetzt bitte noch einen klitzekleinen Wodka bekommen?«
Noch ehe ich am Kühlschrank war, meldete sich das Smartphone mit einer SMS . Talitha langte sofort hin, und ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich über ihre makellos geschminkten Züge.
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