Brief in die Auberginenrepublik
antiken Skulptur, die Hautfarbe leuchtet wie die Schattierung der Erde in der Sonne, rosige Lippen. Und ihr Lächeln! Sie lacht so gern, bekommt manchmal Lachanfälle, lässt sich auf einen Stuhl fallen, stampft mit den Füßen auf den Boden, haut mit den Fäusten auf den Tisch oder schlägt sich mit den Handflächen auf die Oberschenkel und zittert am ganzen Leib, wie ein Fisch, der gerade aus dem Wasser geangelt wird. Nach Minuten hört sie dann auf, legt die Hand aufs Herz und sagt: »Gott sei Dank, ich lebe noch!«
Jamila soll griechische Vorfahren in Alexandria gehabt haben, in der »Braut des Mittelmeers«. Ihre Großmutter, die ursprünglich aus Kreta stammte, der »Perle des Mittelmeers«, wie die Araber diese Insel bezeichnen, lebte am Anfang des 20. Jahrhunderts in Alexandria, wie viele Griechen damals. Sie verliebte sich in einen ägyptischen Bildhauer, den sie schließlich gegen den Willen ihrer Eltern heiratete und mit dem sie bis ans Ende ihres Lebens in Ägypten blieb. Jamila allerdings kommt weder aus der »Perle«, noch aus der »Braut«, sondern aus Om-Al-Dunia, der »Mutter der Welt«, wie man Kairo nennt. Ihre Mittelschichtfamilie war über Jahrzehnte in dem wohlhabenden Neu-Kairo-Viertel ansässig.
Sie wollte als junge Frau Schauspielerin werden, brachte es jedoch nur zu zwei Nebenrollen in ägyptischen Serien. Mit zweiundzwanzig ging sie nach Scharm-El-Scheich, um ihre erste Rolle in einem Kinofilm zu spielen. Nach nur einer Woche verließ sie das Team wieder und kehrte nach Kairo zurück. Sie wollte die Namen des berühmten ägyptischen Filmemachers und dessen libanesischen Produzenten nie preisgeben, die die Schuld dafür tragen, dass sie für immer auf ihre Karriere als Schauspielerin verzichten musste. Immer, wenn man sie nach dem Grund fragte, warum sie damals abgehauen ist und nicht weiter um ihre Karriere gekämpft hat, sagte sie: »Die Männer! Ich träumte damals davon, eine Schauspielerin zu sein, die echte Kunst schafft. Das wollten sie aber nicht von mir. Männer eben! Wie die Hunde bellen sie erbärmlich und sabbern, wenn sie Fleisch sehen. Ich bin aber kein Stück Fleisch, sondern eine Frau, die weder solche Tiere noch solche Männer leiden kann. Und in der Kinowelt herrschen nur Männer, die nie satt werden können, weil sie die Eigenschaften hungriger Hunde besitzen.«
Einmal fragte ich sie: »Aber Walid ist auch ein Mann, oder?«
»Er ist einmalig. Er hat vermutlich ein paar weibliche Hormone. Deswegen ist er der Besitzer meines Herzens. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum ich ihn – einen Mann – liebe.«
Nach dem Scharm-El-Scheich-Männer-Vorfall bekam sie keine neuen Angebote mehr. Jede ihrer Bewerbungen um eine Rolle wurde abgelehnt. Schließlich entschied sie sich dafür, das Geschäft ihrer Eltern zu übernehmen, seitdem ist sie die Besitzerin des größten Blumenladens auf der Faggala-Straße. Später eröffnete sie mit ihrem Mann auf derselben Straße das Café Phönix. Und heute, nach Walids Tod, ist sie die einzige Chefin der beiden Läden.
Obwohl ich sie gern, wie ihr Mann und viele Gäste des Cafés auch, in einer ihrer Rollen in den alten Serien sehen wollte, lehnte sie stets ab, uns irgendetwas davon zu zeigen, und sagte: »Das könnt ihr erleben, aber nicht in diesem Leben, sondern im Jenseits.«
Gerade ist Jamila mit ernsthafter Miene mit ihren Dokumenten beschäftigt. Ist es ihre Absicht, mich nicht anzuschauen? Wieso?, frage ich mich und betrachte mich kurz in dem großen Spiegel, der an der Wand gegenüber dem Eingang hängt. Walid wollte immer einen Roman über diesen Spiegel schreiben. »Große Geschichten verstecken sich vermutlich in dieser Spiegelwelt«, sagte er. »Glaub mir! In einem Spiegel sehen wir nicht nur unser Abbild. Ein Spiegel besteht auch aus Seelen, die in ihn geflüchtet sind …«
Der Spiegel ist rund, sein silberner Rahmen ist mit fröhlichen und traurigen Kindergesichtern dekoriert. Nach Jamilas Angaben soll er eine lange Geschichte haben. Jamilas Mutter kaufte ihn einst bei einem einfachen Trödler. Er kostete nur zwanzig Dollar. Der Händler erzählte, nach dem Untergang des Königreichs in Kairo 1952 habe er ihn von einem reichen Mann erworben, der der damaligen Königsfamilie treu ergeben war. Dieser erste Besitzer des Spiegels verkaufte seine Wohnungseinrichtung und floh nach Rom, aus Angst vor den neuen ägyptischen Machthabern. Er erzählte dem Verkäufer, dass er den Spiegel zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf
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