Brief in die Auberginenrepublik
hier?«
»Ja, Herr.«
»Wo ist die Post?«
»Im Kofferraum!«
»Also komm, öffne ihn!«
Wir gehen zum Bus, Alaa macht den Kofferraum auf: »Da ist alles.« Lediglich ein kleiner Karton liegt vor mir, in dem mehrere Papiere aufbewahrt sind. Ich tausche sie gegen die von mir mitgebrachten Briefe aus und sage: »Also, nicht anfassen! Gib die Kiste einfach im Al-Iraqi-Reisebüro in Amman ab!«
»Ja, Herr!«
»Wann fährst du los?«
»Um 17 Uhr.«
»Dann bist du ja verspätet!«
»Aber nein, es ist erst 15 Uhr.«
Ich schaue dem jungen Burschen verwirrt in die Augen. Was sagt der da? 15 Uhr? Wollen mich heute alle verrückt machen?
»Gute Reise, Alaa!«, wünsche ich ihm und verlasse die Busstation.
Viertes Kapitel
Latif Mohamed (Abu Samira), 52 Jahre alt,
Lastwagenfahrer
Dienstag, 5. Oktober 1999
Amman, Jordanien
Der vierunddreißigjährige Baschier, mein Stammverwandter väterlicherseits, scheint mir sehr beschäftigt zu sein. Ich stehe seit Minuten in seinem Arbeitszimmer im Al-Iraqi-Reisebüro, und er sagt nichts.
»Entschuldige mich, Abu Samira!« Endlich macht er seinen Mund auf. »Heute habe ich viel zu tun. Jedes Mal, wenn die Busse aus Kairo oder Damaskus eintreffen, muss ich die Post erst abholen und die Briefe nach Zielstädten sortieren.« Dann erklärt er: »Schau mal! Die Basra- und Bagdad-Briefstapel türmen sich auf dem Tisch, siehst du?«
»Stimmt. Ich sehe das.«
»Bagdad, schon wieder?«, sagt er laut, nachdem er die Anschrift auf einem Brief gelesen hat. Er legt ihn auf einen der Stapel. Fieberhaft bemüht er sich, dieses Chaos aus Briefen auf seinem Arbeitstisch nach Städten zu sortieren.
»Seit Stunden hocke ich im Büro und versuche, schnellstmöglich den Rest der aufgestauten Arbeit zu erledigen. Nicht mehr lange und die anderen Lastwagenfahrer kommen, um die Briefe abzuholen. Du musst jetzt losfahren, oder?«
Obwohl es nicht stimmt, sage ich: »Ja.«
»Es gibt viele Briefe nach Bagdad, aber du kannst nur zehn Stück für 100 Dollar transportieren, weil viele andere Fahrer auch auf Briefe warten, um sie nach Bagdad zu bringen.«
»100 Dollar sind heilbringend in dieser Zeit«, sage ich lächelnd.
Baschier greift in den Stapel, zählt zehn Briefe ab und schreibt dann irgendetwas auf einen Block. Er öffnet eine kleine Kasse, entnimmt 100 Dollar und reicht sie mir. »Wir sehen uns nächste Woche. Gute Fahrt!«
»Auf Wiedersehen, Baschier, pass auf dich auf!«, sage ich und verlasse das Zimmer.
Seit vier Jahren lebt Baschier in Jordanien. Am Anfang arbeitete er hier als Zigarettenverkäufer. Täglich wartete er auf Lastwagenfahrer wie mich, die Zigarettenstangen aus dem Irak nach Amman schmuggelten. Er kaufte die Ware direkt von den Fahrern und versuchte, die Schachteln einzeln auf den Straßen im Stadtzentrum zu verkaufen. Alles lief illegal, und er musste extrem aufpassen, dass ihn kein Polizist erwischte. Obwohl die irakische Zigarettenmarke »Sumer« um fast die Hälfte billiger war als die jordanischen Marken, gab es nicht viele Menschen, die bereit waren, den schlechteren irakischen Tabak zu kaufen. Nur die Iraker selbst mochten diese Zigaretten, da sie sich durch den Namen der Marke vermutlich an ihre alte Hochkultur in Sumer und Babylon erinnerten. Die meisten jedoch hatten einfach kein Geld und konnten daher nur gelegentlich die alte mesopotamische Zivilisation rauchen. Baschier verkaufte also weiter seine Sumer und gewöhnte sich daran, in dieser Stadt am Wochenende einige Stunden im Café »Der Babylonische Löwe« zu verbringen. Manchmal kamen Geschäftsleute in das Café, die nach billigen Arbeitskräften suchten. Als ich vor drei Jahren einmal mit Baschier im »Babylonischen Löwen« saß, tauchte ein junger, gut aussehender Iraker auf, der aber recht seltsam gekleidet war. Er trug einen weißen Anzug, und den Kopf zierte ein schwarzer Cowboy-Hut. Er wollte wissen, ob es unter den Arbeitsuchenden jemanden gab, der Ökonomie oder Tourismus studiert hatte. Baschier hatte zwar in Bagdad die Universität besucht, aber ein anderes Fach belegt, nämlich Mathematik. Als wir in die Runde der Anwesenden schauten, bemerkten wir keine Reaktion. Nach kurzem Zögern hob Baschier plötzlich die Hand: »Ist Mathematik okay?«
Er ging an jenem Tag mit diesem irakischen Cowboy. Der war, wie ich später erfahren habe, der bekannte Geschäftsmann Ali Al-Bhadly, Besitzer des in der König-Talal-Straße liegenden Reisebüros Al-Iraqi. Seitdem arbeitet Baschier für ihn, und er ist
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