Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
spitzkriegte, verbannte er sie kurzerhand aus seinem Königreich, sodass sie sich auf eigene Faust durchs Leben schlagen musste. Da sie sich mit ihrer Vagina auch ihrer Seele beraubt hatte, verwandelte sie sich schon bald in einen Teufel und starb schließlich an Altersschwäche in einem Hospiz für obdachlose Teufel. Ehrlich gesagt, den Schluss habe ich mir ausgedacht, aber du musst zugeben, die Geschichte ist nicht schlecht, was?«
    Nachdem er eine Zeitlang triefäugig geschwiegen hatte, blickte Siri auf und sagte: »Dann sitzt die Seele einer Frau also in ihrer Vagina?«
    »Siri, wo wir unsere Seele unterbringen, spielt nicht die geringste Rolle. Der springende Punkt ist doch … meinst du, du kannst dich morgen früh noch daran erinnern?« Er nickte feierlich. »Der springende Punkt ist: Teufelsvagina ist der Name eines Baumes, eines richtigen Baumes.«
    »Und wo wächst der?«
    »Hauptsächlich bei Buriram an der Khmer-Grenze.«
    »Das ist in Thailand.«
    »Eins plus in Geografie. Aber der Alte meinte, man findet ihn hier und da, bis hinauf zur laotischen Grenze. Auch wenn er in Laos noch nie einen gesehen hat.«
    »Wahrscheinlich hat das Kulturministerium sie alle niedergebrannt, weil sie einen unanständigen Namen tragen, der unsere Jugend korrumpieren könnte. Warum, in drei, äh, Teufels Namen, sollten die Verschwörer ihre Briefe mit dem Namen eines thailändischen Baumes unterzeichnen?«
    »Keine Ahnung. Aber das ist noch nicht alles.«
    »Dem Himmel sei Dank.«
    »Der Umschlag.«
    »Ich habe dir den Briefumschlag gezeigt?«
    »Er lag auf dem Tisch, als ihr mich das erste Mal besucht habt. Dabei ist mir einer der Poststempel aufgefallen.«
    »Warum?«
    »Weil er so alt war. Die Post hat den Stempel vor sechs oder sieben Monaten ausgetauscht. Der neue ist rund und nicht, wie früher, rechteckig.«
    »Ein halbes Jahr alt? Wie kann das sein?« Siri war zwar nicht direkt nüchtern, aber mit einem Mal hellwach.
    »Das habe ich mich auch gefragt. Darum habe ich mich bei dem alten Postvorsteher danach erkundigt. Er kommt mich von Zeit zu Zeit besuchen.«
    »Das glaube ich gern.«
    »Er konnte mir sagen, wer den ausrangierten Poststempel heute noch benutzt.«
    »Wer denn?«
    »Die Flüchtlinge in den Lagern hinter der Grenze, die ihren laotischen Freunden und Verwandten schreiben. Aber sie können natürlich nicht einfach eine thailändische Marke auf ihre Briefe kleben und sie zur Post bringen, da sämtliche Sendungen aus dem Ausland die Kontrolle der Staatssicherheit durchlaufen. Falls der Brief nach einem halben Jahr überhaupt beim Adressaten eintrifft, besteht er in der Regel nur noch aus Konfetti und ist nicht mehr zu entziffern. Darum haben sie sich etwas einfallen lassen.«
    »Nämlich?«
    »Sie schreiben ihre Briefe im Lager, kaufen dort laotische Marken und lassen sie mit den ausrangierten Stempeln entwerten, damit es aussieht, als wären sie in Pakxe aufgegeben worden. Sie schmuggeln die Briefe über die Grenze und verfrachten sie in die Busse nach Vientiane. Das reinste Kinderspiel. Der Fahrer bekommt ein paar Dollar zugesteckt und nimmt dafür einen zusätzlichen Sack mit.«
    »Dein Postvorsteher scheint sich ja bestens auszukennen.«
    »Vielleicht ist er deshalb arbeitslos.«
    »Erstaunlich.« Siri leerte seinen Cocktail und schenkte zwei neue ein. Nun war auch die letzte Flasche leer. »Das erklärt alles. Hinter dem geplanten Staatsstreich stecken alte Royalisten in einem Lager auf der thailändischen Seite, vermutlich in Ubon, gleich hinter der Grenze. Sie kontaktieren ihre laotischen Agenten per Brief. Es würde mich nicht wundern, wenn die Thais und die Amerikaner die ganze Sache finanzieren. Du hast das Rätsel gelöst. Du bist unglaublich, Daeng.«
    Er beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, und sie wich zurück. Etikette ist schließlich Etikette, auch jenseits der sechzig. Sie sah ihn enttäuscht an und begann die Hymne der Lao Issara zu summen.
    »Soso«, sagte sie nach der ersten Strophe. »Verschwörer? Die einen Staatsstreich planen? Möchtest du mir nicht davon erzählen?«
    In dieser Nacht hatte Siri endlich wieder einen Traum. Er war nicht wie sonst knallbunt und realistisch. Eher pastellfarben und leicht verschwommen. Kein Wunder, denn Siri befand sich unter Wasser. Er durchquerte – zu Fuß – das Bett eines reißenden Flusses. Er fragte sich, warum er lief. Vermutlich, weil er nicht schwimmen konnte. Selbst ein Traum musste bis zu einem gewissen Grad in der Wirklichkeit

Weitere Kostenlose Bücher