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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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dass auf bloßes Klopfen niemand reagieren würde. Auf Siris Anweisung rief Tao: »Hier ist die Polizei. Und wir warten nur äußerst ungern.«
    Nach einer Weile wurde der Riegel an der Innenseite zurückgeschoben, und die Tür öffnete sich einen Spalt. Augen wie Gedankenstriche spähten hindurch und musterten erst den Uniformierten, dann Siri.
    »Es ist Mittag. Wohl noch nie was von Siesta gehört, wie?«, krächzte die Hausmeisterin. Sie zog die Tür ein wenig weiter auf, damit sie sehen konnten, dass sie eben erst aus dem Bett gefallen war.
    »Hallo, Schwester«, sagte Siri. »Kennen Sie mich noch?«
    »Nein«, antwortete sie.
    »Ich war vor ein paar Tagen mit einem anderen älteren Herrn hier.«
    »Wir kriegen jede Menge Besuch.« Sie machte keine Anstalten, sie hereinzulassen. »Ich schlafe. Was wollen Sie?«
    Der Polizist war nicht so höflich und geduldig wie der Doktor. Er marschierte einfach in die Halle und rannte die Frau dabei fast über den Haufen. »Wir wollten uns nur ein wenig umsehen«, sagte er.
    Siri folgte ihm. »Wo ist denn Ihr Bruder heute?«, fragte er.
    »Ich habe Ihnen doch gesagt, es ist Schlafenszeit. Er ruht. Und wenn er ruht, haben Sie hier nichts verloren. Sonst …«
    »Sonst?«
    Sie zögerte. »Sonst wecken Sie ihn noch auf.«
    »Wir werden uns bemühen, ihn nicht zu stören«, sagte Siri. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und stolzierte wie ein Polizist auf und ab. »Sie haben gesagt, hier wäre ziemlich viel gestohlen worden.«
    »Alles, was nicht niet- und nagelfest war. Und das meiste andere auch.«
    »Dann sind Sie und Ihr Bruder also gerade noch rechtzeitig gekommen.«
    »Ja. Was soll …?«
    »Wie es aussieht, haben Sie alles fest im Griff.«
    »Hier ist ja auch nicht mehr viel zu holen.« Sie drehte sich um und zog die Tür eines Bretterverschlages, der ihr als Büro diente, vorsichtig zu.
    »Schon, aber es gibt doch bestimmt Herumtreiber? Neugierige, die einen Blick riskieren wollen? Souvenirjäger?«
    Tao hielt sich im Hintergrund und verfolgte das Geschehen wie ein Ringrichter, dem die beiden Kontrahenten nicht ganz geheuer sind.
    »Manchmal«, sagte sie und lotste sie vom Büro weg.
    »Und was unternehmen Sie dagegen?«
    »Unternehmen?«
    »Ja. Wie halten Sie sie fern? Wie bewachen Sie den Palast?«
    »Wir lassen sie einfach nicht rein. So schwierig ist das nicht. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
    »Nicht schwierig? Das Haus hat keine verglasten Fenster. Jeder, der ein Boot besitzt, könnte sich vom Fluss aus Zugang verschaffen, und man muss kein allzu versierter Kletterer sein, um heimlich einzusteigen.«
    »Das tut aber keiner.«
    »Warum nicht?«
    »Darum nicht. Es weiß schließlich jeder, dass der Palast bewacht wird.«
    »Von einer alten Frau und einem zurückgebliebenen Schwachkopf?«
    Siri bemerkte, wie mit ihr eine Veränderung vor sich ging. Wäre sie ein Hund gewesen, hätten sich ihre Rückenhaare aufgestellt.
    »Es … es steht Ihnen nicht zu, so etwas zu sagen.« Sie wandte sich an Tao. »Sagen Sie es ihm! Sagen Sie ihm, dass auch wir Rechte haben!« Tao lächelte und schwieg.
    »Sie scheinen mir nicht ganz auf dem neuesten Stand zu sein«, fuhr Siri fort. Sein Tonfall war gehässig, seine Brauen bildeten ein buschiges V . »Wir sind jetzt eine kommunistische Diktatur. Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir nach draußen gehen, oder?« Er trat auf den rückwärtigen Balkon mit Blick auf den Xedon. Das Regenwasser von den Hügeln hatte den Fluss anschwellen lassen; dick und zäh wie Schokolade strömte er dahin. Von der Balustrade hatte man einen unverstellten Blick auf die halbfertige Brücke.
    »Wissen Sie«, spann Siri seinen Faden weiter. »Jetzt, wo sich die verfettete Königsfamilie mit ihren gestohlenen Schätzen aus dem Staub gemacht hat …«
    »Sie ha…«
    »Haben Sie etwas gesagt?« Sie starrte auf ihre Füße. »Nein, ich glaube nicht. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Seit die korrupten royalistischen Schoßhündchen der Froschfresser sich mit ihrer Beute davongemacht haben, steht das Land unter einer neuen Regierung. Jetzt gibt es Leute wie mich, die sagen können, was wir wollen, wann wir wollen, weil wir jetzt an der Macht sind. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    »Ja.« Sie hatte sichtlich Mühe, ihre Wut im Zaum zu halten. »Eine Schande ist das.«
    »Das will ich nicht gehört haben. Ich würde Sie nur ungern wegen regierungsfeindlicher Äußerungen einsperren lassen, denn dann wäre Ihr schwachsinniger Bruder fortan

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