Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
Schneidersitz, niemand anderes saß als Phosy. Er zeigte ihr, wo er den Zellenschlüssel vermutete, und während Dtui hektisch danach suchte, schilderte Phosy ihr seine Begegnung mit Bunteuk und seinen Spießgesellen.
»Ich habe keine Ahnung, weshalb sie mich nicht erschossen haben«, sagte er. »Anscheinend hat mich einer von ihnen erkannt. Wenn sie wussten, dass ich ein Spitzel bin, wäre es eigentlich logisch gewesen, mich abzuknallen. Dass ich noch am Leben bin, kann ich mir nur so erklären, dass sie herausbekommen wollten, wie viel wir über ihre Machenschaften wissen. Trotzdem, warum haben sie mich nicht einfach gefoltert, und Schluss?«
»Ich hoffe, diesen goldenen Vorschlag haben Sie denen nicht auch unterbreitet«, sagte Dtui, während sie in Schränken und Regalen wühlte. Als sie in einer Schreibtischschublade auf einen Schlüsselbund stieß, machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit. »Gewonnen.«
Phosy fuhr fort, während sie die Schlüssel durchprobierte.
»Ich hatte den Eindruck, Bunteuk hätte am liebsten kurzen Prozess mit mir gemacht.« Trotz ihrer misslichen Lage wirkte er erstaunlich ruhig. »Aber irgendetwas oder -jemand hielt ihn davon ab. Er machte aus seiner Verachtung mir gegenüber kein Hehl.«
Das Vorhängeschloss klickte, und Dtui zog die Tür auf. Ihre Umarmung sagte alles, was sie mit Worten nicht hatten ausdrücken können. Phosy blickte zur Treppe.
»Haben Sie die Tunnelöffnung wieder verschlossen?«
»Nein, damit ich im Notfall möglichst schnell hier rauskomme.«
»Dann sollten wir uns langsam auf den Weg machen.«
Obwohl die Zeit drängte, gingen sie erst einmal in die Büro- und Planungsecke und starrten auf den Berg von Dokumenten.
»Wo fangen wir an?«
Alles, was sie mitgenommen hatten, lag jetzt auf dem großen Konferenztisch im Hinterzimmer von Bruder Freds Büro. Dtuis Vertrauen in den jungen Geistlichen beruhte einzig und allein auf ihrer Intuition. Da sie noch nie einem Iren begegnet war, wusste sie nicht, ob man sich auf ihn verlassen konnte, doch der Blick in seinen Augen erinnerte sie an einen Hund, der ihr als Kind ein treuer Freund gewesen war. Auch Phosy hielt dies für die beste, wenn nicht die einzige Möglichkeit, die ihnen blieb. Sie konnten sich schlecht an den nächstbesten Polizisten wenden und auf seine Unterstützung hoffen. Vermutlich hatte selbst Bruder Fred gegen ein Komplott zur Entmachtung der bösen Sozialisten wenig einzuwenden. Zum Glück folgte die Kirche in Sachen Menschenrechte festen Prinzipien. Und so war es den Kirchenleuten ein Dorn im Auge, dass die Thais sich beharrlich weigerten, die Laoten als »Flüchtlinge« zu bezeichnen. Das war weit mehr als eine Frage der Wortwahl, denn es hinderte die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen daran, im Lager tätig zu werden. Was zur Folge hatte, dass die Definition der Menschenrechte in diesem Fall der Thai-Regierung vorbehalten blieb. Und das thailändische Militär hatte allen Grund, Phosy und Dtui diese Rechte streitig zu machen.
Während sie durch die belebten Lagerstraßen zum Sekretariat der Church of the Christian Brotherhood marschierten, gingen sie Bruder Freds Möglichkeiten durch. Ein Thailand, das seine Juntas häufiger wechselte als Phosy seine Unterhosen, würde sich von der Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf einen kleinen Putschversuch in Laos schwerlich schrecken lassen. Die UNO würde die Vorgänge in einer schriftlichen Erklärung »scharf verurteilen«, und in Bangkok würde jemand einen Grill damit anzünden. Wenn die UNO brüllte, bekam hier niemand kalte Füße.
Nein. Die politischen Kanäle konnten sie vergessen. Sie mussten so schnell wie möglich zurück nach Laos und die gewonnenen Informationen weiterleiten. Zu diesem Zweck benötigten sie erstens ein Telefon und zweitens ein Auto. Bruder Fred hatte beides, war aber mit den Nerven am Ende. Während Dtui dem Iren das Händchen hielt und ihn zu beruhigen versuchte, tätigte Phosy diverse Anrufe. Als er schließlich den Hörer auflegte, grinste er von einem Ohr zum anderen. Dtui übersetzte, der Gouverneur von Ubon habe mit Schrecken vernommen, dass seine Provinz als Basis für einen Angriff auf das benachbarte Laos missbraucht werde, und wies dezent darauf hin, dass Ubon an seinen illegalen Holzgeschäften mit dem Militär in Champasak prächtig verdiene. Vor allem das finanzielle Argument leuchtete dem Iren ein, und er hatte keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Gouverneur die
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