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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Kaiser zu sein; nicht viel anders als bei uns.
    Um die Zeit aber, als sich das Reich von Lom teilte – und damit kommt eine für mein Gefühl ungesunde Bewegung in die Geschichte der Großnasen, die bis heute nicht ausgeklungen ist –, rückten von Norden her, von den Regenländern, Völkerschaften heran, völlig fremd den Leuten von Lom, weißhäutig und fahlhaarig, die, was man ihnen nicht verdenken kann, auch Anteil am Leben in den sonnigen Ländern haben wollten. Ich will die Einzelheiten jetzt hier nicht aufführen, die ich im Übrigen auch gar nicht im Kopf behalten habe bei der Fülle von Fakten, die mir Herr Shi-shmi erklärt hat. (Er nahm auch Landkarten, genealogische Tabellen und bildliche Darstellungen zu Hilfe. Unter anderem zeigte er mir ein sekundäres Bild jenes Kaisers Hao-go-shu, also das Bild eines Bildes, besser gesagt: das Bild einer Statue. Schon Kaiser Hao-go-shu hatte ganz deutlich eine Großnase.) Ich übergehe also die Details. Es gab, als die nördlichen Bleichhäute anrückten, ein großes Durcheinander. Das westliche Reich ging unter, das östliche verkümmerte und fiel später dem Ansturm einer Volkshorde zum Opfer, die, so sagt Herr Shi-shmi, uns geläufig sein müßte, denn sie sei verwandt mit den barbarischen Stämmen im Nordwesten, die uns ja auch zu Zeiten beschwerlich fallen. Das Westreich von Lom richteten die nördlichen Bleichhäute etwa um die Mitte der Regierungszeit der Dynastie T’ang (genauer: etwa als unser Kaiser Hsüa-tsung die Regierung antrat) in veränderter Form wieder auf. Ihre Fürsten unterstanden zwar dem Namen nach dem Kaiser, machten sich aber zunehmend selbständig und grenzten ihre Herrschaften gegeneinander ab. So entstand ein mächtiges Reich hier, nördlich des Dreifachen Gebirges, ein anderes weiter im Westen, eins auf einer Insel im westlichen Meer, mehrere Reiche im Norden und so fort. In der Sprache und in der Sitte entfernten sie sich immer weiter voneinander, eine eigentliche einheitliche Geschichte gibt es nicht, wenn auch die Staatsidee des großen Hao-go-shu aufgesplittert und sozusagen vervielfacht weiterlebte und -wirkte.
    Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich den Unterschied der Geschichte unseres Reiches gegenüber dem der hiesigen Weltgegenden erfassen soll. Du mußt es Dir vielleicht so vorstellen: die Geschichte unseres Erhabenen Reiches der Mitte ist den Geschicken einer großen, weitverzweigten Familie vergleichbar, deren Mitglieder sich zwar oft und mit Ausdauer in den Haaren liegen, aber dennoch ein großes, offenes Haus bewohnen, die gleiche Sprache sprechen und nie vergessen – sei es auch mit Erbitterung –, daß sie zu einer Familie gehören. Die Geschichte der hiesigen Welt gleicht dem Leben in einer Herberge: in jedem Zimmer lebt ein Gast für sich, alles ist eine durch Zufall zusammengewürfelte Gesellschaft, keiner weiß vom anderen, woher er kommt, keiner versteht den anderen, und jeder sucht nur seinen Vorteil.
    Daß die Großnasen bei solcher Entwicklung ihrer Geschichte – die, daran zweifle ich nicht, in ihrem Charakter angelegt ist – kulturell auf keinen grünen Zweig kommen können, scheint mir auf der Hand zu liegen. Ob dann ihre ständige Sucht zur Veränderung Ursache oder Wirkung dieser Entwicklung ist, vermag ich nicht zu sagen. Keinen Zweifel hege ich darüber, daß der barbarische Zustand ihrer heutigen Kultur aber auf diese kleinlich nach innen gerichtete Politik zurückzuführen ist, die sie offenbar bis auf den heutigen Tag betreiben.
    Aber wie ging es weiter? Vor etwa fünfhundert Jahren – also: fünfhundert Jahre nach unserer Zeit und fünfhundert Jahre vor der Zeit, in der ich hier lebe – kam wieder Bewegung in die Geschichte der Großnasen. Ein eigensinniger Mann aus einem der südlichen Königreiche segelte nach Westen und entdeckte, daß es außer dem Reich der Mitte und den hiesigen Ländern der Großnasen noch eine riesige Landmasse gab, von der bis dahin kein Mensch eine Ahnung gehabt hatte. Jene Landmasse, die sich durch mehrere Ozeane von Norden nach Süden erstreckt, nannte man Am-mei-ka, und die wenigen Einwohner hatten die Großnasen binnen kurzer Zeit ausgerottet. Wie sich die Großnasen, sagt Herr Shi-shmi, dort zuzeiten aufgeführt hätten, erfülle ihn heute noch mit tiefster Beschämung. Herr Shi-shmi las mir zeitgenössische Berichte vor, in denen das, was die Großnasen beschönigend Kolonisation nennen, geschildert ist. Ich sage Dir: es spottet jeder Beschreibung. Wir,

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