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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Mo-te Shang-dong oder auf meine unbefriedigten Körpersäfte zurückzuführen, daß ich außerdem meinte: Frau Pao-leng habe meine genaue Beobachtung ihres Körpers, die ihr unmöglich entgangen sein kann, nicht nur nicht mit Ablehnung, sondern mit Wohlwollen erwidert? Sie hat sich ein paar Mal so hingesetzt, daß ich die Gelegenheit hatte, meine Beobachtungen – im wahrsten Sinne des Wortes – bequemer zu vertiefen. Einige Male schaute sie zu mir her, während des Gespräches, und – als habe sie erraten, was ich dachte – nahm ihr Augen-Scheiben-Gestell ab … um mir zu zeigen, was sie damit macht, während man sie beschläft? Ich gestehe, daß ich in der Nacht schlecht geschlafen habe. Ich bin – gegen meine Gewohnheit – mehrmals aufgewacht und war in Schweiß gebadet, und im halben Schlaf und im dämmrigen Wachen torkelte vor meinen Augen das bunte Wellenkleid hin und her und alles, was es verbarg oder eben nicht verbarg.
    Aber da war natürlich auch noch der andere Herr, dessen Name zu lang war, als daß ich ihn mir gemerkt hätte, und Herr Shi-shmi. Ich kann nicht annehmen, daß Herrn Shi-shmi und dem anderen Mann das Kleid der Dame, und was es durchscheinen ließ, entgangen sein könnte. Ich muß sogar befürchten, daß Herr Shi-shmi einige meiner – nun ja wohl naheliegenden – Gedanken erraten hat. Bereut er es, daß er mich zu der Dame mitgenommen hat? Hat er eine mönchischere Gesinnung von mir erwartet? Da wäre er entweder töricht, oder er hätte die Dame Pao-leng vorher nie richtig beobachtet. Bei einer Frau vom Zuschnitt der Dame Pao-leng – gerade weil sie alles andere als eine Kurtisane ist – mönchische Gesinnung zu bewahren ist nur möglich, wenn man Eunuche oder achtzig Jahre alt ist; und selbst da zweifle ich. Bei der Rückfahrt, die wir wieder in einem gemieteten A-tao zurücklegten, sprach Herr Shi-shmi kein Wort mit mir. Gut – es mag sein, ich sehe das alles zu problematisch. Vielleicht war Herr Shi-shmi auch nur müde und hatte ebenfalls zuviel Mo-te Shang-dong getrunken. Heute früh ist er fortgegangen, ohne daß ich ihn gesehen hätte. Aber das tut er öfter.
    Übrigens war noch etwas bei Frau Pao-leng: sie hat eine Katze. Diese ist ein edles Tier und ähnelt unseren Katzen. Sie war so zutraulich zu mir und schnurrte im Lauf des Abends gewiß vier- oder fünfmal auf meinem Schoß. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie sehr ich dabei an meine ferne Shiao-shiao gedacht habe.
    Aber was soll ich tun? Ich gestehe, daß mir der Gedanke unangenehm wäre (nur unangenehm?), Frau Pao-leng gestern das letzte Mal gesehen zu haben. Andrerseits bin ich nicht in diese ferne Welt gefahren, um erotische Abenteuer zu erleben, sondern um Erkenntnisse zu sammeln. Nun – ich werde sehen, wie es ist, wenn heute abend Herr Shi-shmi wieder nach Hause kommt: ich werde aus seinem Verhalten ablesen können, ob ich ihn gekränkt habe, und wenn ja, ob er wieder versöhnt ist. Davon wird alles abhängen. Letzten Endes ist er mir wichtiger als ein Weib, selbst wenn sie ein Wellenkleid trägt.
    Du, mein Freund, bist mir am allerwichtigsten, womit Dich grüßt Dein ferner
    Kao-tai

Zwölfter Brief
    (Montag, 26. August)
    Geliebter Dji-gu.
    Seit ich weiß, daß ich nicht im Reich der Mitte, sondern durch fehlerhafte Berechnung in einem fernen Land angekommen bin, ist mir vieles klarer. Selbst die Großnasen und Lautbrüller brächten es nie fertig, die Hügel um unsere Erhabene Kaiserstadt vollständig abzutragen und das ganze Land einzuebnen. Herr Shi-shmi, mit dem ich nun schon fast so flüssig rede wie in unserer Sprache (auch im Lesen habe ich ungeheure Fortschritte gemacht), war nie im Reich der Mitte, das er Chi-na (andere sagen Shi-na) nennt, und weiß nicht, wie es heute dort aussieht. Er hat aber Berichte davon. Jeden Tag erscheint eine Zeitung, die Herr Shi-shmi ins Haus gebracht bekommt. In der Zeitung, die vor ein paar Tagen gekommen ist, war ein Bericht über die heutigen Zustände im Reich der Mitte. Es waren auch (sehr gut gestaltete) Bilder dabei. Ich habe danach nicht viel Hoffnung, daß dort in Chi-na die Sachen anders stehen als hier. Nur haben immerhin – unsere dortigen Urenkel wenigstens keine so großen Nasen. Das nicht. Auch die Hügel um die Erhabene Hauptstadt K’ai-feng, die heute durch das nördliche Pei-ching abgelöst ist, seien, meint Herr Shi-shmi, wohl nicht abgetragen und die Wasser des Huang-ho flössen immer noch so wie vor tausend Jahren nach Osten.
    Dorthin zu fahren,

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