Briefe in die chinesische Vergangenheit
seinen Sandalen Lehmklumpen auf sauber gebürstete Fußmatten. Viele Menschen waschen sich nicht, und auch an Schweinen klebt Dreck, wenn sie sich im Mist suhlen. Aber das alles ist, wenn ich so sagen darf, sauberer Schmutz. Die Unsauberkeit hier besteht aus öligem und fettigem Ruß, der alles überzieht und sogar die Luft duchsetzt. Die Großnasen merken das gar nicht, nicht einmal Herr Shi-shmi, aber ich merke es, der aus einer reinen Luft kommt. Der Regen ist rußig. Wahrscheinlich ist durch diese alles überziehende und durchsetzende Unsauberkeit das Wetter so schlecht. In letzter Zeit, sagt Herr Shi-shmi, sei beobachtet worden, daß über breite Strecken die Nadelbäume eingehen. Sie verkümmern, lassen die Äste hängen und die Nadeln fallen und sterben ab. Man erhebt ein großes Geschrei, aber man tut nichts. Es ist bereits abzusehen, wann der ganze Wald verschwunden sein wird. Die Flüsse sind so rußig, daß es schon kaum noch Fische gibt. Nur die Großnasen – durch die ihnen schon in die Wiege gelegte Affinität zum Ruß – baden unbeschadet in den Flüssen. Überall vergraben sie Gift, das sie aus lauter Sucht, sich irgendwie zu beschäftigen, in ihren Groß-Werkstätten – der Teufel weiß, warum – herstellen. Das Gift findet aber natürlich seinen Weg aus dem Erdboden und steigt durch die Wurzeln der Pflanzen wieder nach oben. Was tun die Regierenden? Sie erfinden Gesetze, die es verbieten, Nachrichten darüber zu verbreiten.
Nur eine grundlegende Umkehr aller könnte diese Entwicklung aufhalten. Aber dazu fehlt die Einsicht, und vor allem ist die Sucht des Fort-Schreitens nicht auszurotten. Also wird es kommen, wie es kommen muß. Es sei ohnedies zu spät, meint Herr Shi-shmi. Und ich kehre, dem Himmel sei Dank, in einem halben Jahr wieder in meine Zeit-Heimat zurück; solang, hoffe ich, wird diese vergiftete Welt wohl halten. Herr Shi-shmi seufzte: er wollte, sagte er, er könne mit mir reisen. Aber das geht ja nicht. Abgesehen davon – aber das sage ich ihm natürlich nicht – würde ich, wenn ich könnte, lieber Frau Pao-leng mitnehmen.
Aber gestern abends hat mir Herr Shi-shmi einen anderen Vorschlag gemacht: ob ich ihm nicht meinen Mechanismus für ein paar Tage leihen könnte. Er wolle, wenn es ginge, nicht tausend Jahre, aber ein paar Jahrzehnte in seine Zukunft reisen. Er wisse, sagte er, daß das eine Zumutung sei, er habe auch lange gezögert, ehe er diese Bitte an mich gerichtet habe, aber es sei ihm doch sehr wichtig.
Du kannst dir denken, daß dieser Vorschlag nicht mein Entzücken auslöste. Andrerseits bin ich Herrn Shi-shmi wie niemandem in dieser Welt zu Dank verpflichtet und kann ihm die Bitte nicht rundweg abschlagen. Theoretisch wäre es ja möglich, daß ich ihm eine kleine Zeit-Reise ermögliche. Aber was ist, wenn er den Mechanismus in seiner Zukunft beschädigt? Wenn er nicht mehr zurückkehrt? Dann stehe ich da und muß hier in dieser vergifteten Welt voll Albernheit bleiben und mein Leben fristen und gerate auf meine alten Tage dann noch in den Strudel ihres Untergangs. Nein, nein – ich habe gesagt: ich wolle es mir überlegen, es sei sehr kompliziert, ihm seine Bitte zu erfüllen. Er hat genickt. Vielleicht vergißt er die Sache.
So grüße ich Dich für heute. Streichle meine schnurrende Shiao-shiao und lebe wohl. Schreibe mir wieder einmal einen Brief.
Ich bin Dein Kao-tai
Vierzehnter Brief
(Dienstag, 10. September)
Teurer Dji-gu.
Heute habe ich mit Dame Pao-leng gesprochen, ohne bei ihr gewesen zu sein. Du staunst? Ja, das geht. Sie haben da ein Gerät, ein kleines Kästchen mit Löchern, in die man die Finger stecken kann, und man dreht in einer bestimmten Weise, und schon hört man aus einem Ding, das entfernt einer verwachsenen Rübe ähnlich sieht, die Stimme dessen, den man hören will. Die Sache klingt zauberhaft und wunderbar, ist aber im Grunde genommen weniger kompliziert als unsere Berechnungen, mit deren Hilfe ich in die Zukunft gefahren bin. Du muß Dir das so vorstellen, daß unter der Erde Schnüre aus Kupfer ausgelegt sind, wie mir das Herr Shi-shmi erklärt hat, und mittels unsichtbarer Kraftstöße wird die Stimme eines anderen, jedes beliebigen, sofern er nur so ein Gerät mit Rübe hat (Te-lei-fong heißt es) übertragen. Diese Schnüre aus Kupfer verbinden jedes Haus mit jedem, selbst in andere Länder. Auch nach Chi-na? fragte ich. Ja, sagte Herr Shi-shmi, auch nach Chi-na … aber ich kann ja Deine Stimme nicht hören über die
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