Briefe in die chinesische Vergangenheit
Rübe und die Schnüre aus Kupfer, weil Du ja – verzeih – für die hiesige Welt schon fast tausend Jahre tot bist. So habe ich durch dieses rübenartige Gerät auch nicht die süße Stimme meiner geliebten Shiao-shiao gehört (denn man kann jedwede Stimme damit übertragen, auch Geräusche), sondern nur – oder, um gerecht zu sein: immerhin – die Stimme der Katze von Frau Pao-leng, die im Hintergrund maunzte, als ihre Herrin mit mir zu sprechen die von mir unverdiente Herablassung hatte.
»Hier spreche ich«, sagte ich, »Ihr nichtswürdiger Diener und Knecht Kao-tai, der schmutzige Mandarin, nicht mehr wert, als mit Füßen von Ihrer erhabenen Schwelle vertrieben zu werden.« Ich machte zwei Verbeugungen und eine halbe, obwohl sie das durch das Te-lei-fong gar nicht sehen konnte.
Sie lachte und sagte: »Ach, wie geht es Ihnen. Sind Sie noch im Lande?«
Ich machte eine weitere Verbeugung und sagte: »Jawohl, ich habe nach wie vor die Ehre, unter einem Himmel mit Ihrer erlauchten Gegenwart, Dame Pao-leng nebst ehrwürdiger Katze, zu weilen, und schätze mich glücklich, den Honigwohllaut Ihrer Stimme durch das Gerät Te-lei-fong zu hören. Erlauben Sie Ihrem Knecht die Frage an Sie zu richten, ob Sie im Augenblick das weithinleuchtende bunte Wellenkleid zu tragen belieben?«
Sie lachte wieder und sagte: »Nein. Ich bin im Moment ganz schlampig angezogen und bin ganz mit Erde bedeckt, weil ich Blumentöpfe umgepflanzt habe.«
»Und darf ich mir die äußerst anmaßende Frage erlauben, obwohl einer derart niedrig stehenden Person wie mir das Recht dazu nicht im Entferntesten zusteht, ob sich Ihre Katze wohlbefindet?«
»Komm, Meister Mi 9
› Hinweis
«, sagte die Dame Pao-leng – Meister Mi heißt die Katze –, »komm und sag Onkel Kao-tai, wie es dir geht.«
Die Katze maunzte aber da gerade nicht. Frau Pao-leng erwähnte aber, daß die Katze schnurre, ob ich es höre? Ich hörte es nicht, sagte aber doch, daß ich es höre, um die Dame nicht zu kränken. Ich bemerkte dann, daß das Wetter im Augenblick annehmbar sei. Frau Pao-leng sagte, daß sie meine neue Vorliebe für das Getränk Mo-te Shang-dong bemerkt habe. Falls ich wieder einmal Lust hätte, einen Becher Mo-te Shang-dong zu mir zu nehmen, sollte ich sie doch besuchen. Ich verabschiedete mich mit verschiedenen ehrerbietigen Äußerungen sowie Verbeugungen (obwohl sie die, wie gesagt, gar nicht sehen konnte), und sie fragte danach: wann ich denn käme?
Du kannst Dir vorstellen, wie erstaunt ich über die Frage war. Das heißt: Du wirst erstaunt sein, denn ich, der ich nun schon einigermaßen mit den krummen Sitten dieser merkwürdigen Welt vertraut bin, war nicht so sehr erstaunt als zum Nachdenken veranlaßt. Die Großnasen sind nie dort, wo man sie vermutet. Gut: auch unsereiner, Du und ich, sind ab und zu verreist (wie ich im Augenblick), aber das weiß dann jeder und – wenn man nicht grade auf der Reise stirbt – irgendwann kommt man wieder und ist dann da. Ganz anders hier. Die Großnasen sind ständig unterwegs. Das sehe ich an Herrn Shi-shmi. Der ist einmal hier, einmal dort, fährt mit dem rollenden Eisenhaus kreuz und quer durch die Stadt. Von den vierundzwanzig Stunden des Tages ist er – mit Ausnahme der Nacht, wo er schläft – keine vier Stunden in seiner Wohnung. Er geht seinem Beruf nach, sagte er auf meine diesbezügliche Frage. Sein Beruf ist der eines Lehrers und Bibliothekars in der Großen Gelehrtenschule von Min-chen. Er ist also nie in seiner Wohnung anzutreffen. Keiner unter den Großnasen ist in seiner Wohnung anzutreffen. Sie sind ständig unterwegs, laufen hin und her oder fahren mit ihren A-tao-Wagen oder den rollenden Eisenhäusern, sind ununterbrochen in Bewegung. Das hängt vielleicht mit dem Mißbrauch von Rindsmilch zusammen oder aber mit ihrer Philosophie (oder besser: ihrem Aberglauben) vom Fort-Schreiten. Wenn man jemanden besuchen will, kann man nicht einfach in dessen Wohnung gehen, wo er, möchten wir nach unseren Gewohnheiten annehmen, anzutreffen wäre (es sei denn, wie gesagt, er wäre verreist oder bei einer Audienz beim Kanzler, aber wie oft kommt das schon vor); wenn man da einfach hinginge, wäre es nur durch Zufall, daß man ihn antrifft. Nein: man muß einen äußerst genauen Zeitpunkt vereinbaren, weswegen sie ebendiesen Mechanismus mit den Kupfer-Schnüren und der Rübe eingerichtet haben.
Deshalb haben auch die Großnasen winzig kleine Zeit-Anzeiger, die sie an Bändern am linken
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