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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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sei das Winterfest umfassend, und dem könne keiner entgehen. Ich werde es zwangsläufig erleben, sagte Herr Shi-shmi. Näheres äußerte er nicht.
    Jetzt, wo ich dieses schreibe, ist das »Fest des Herbstmondes« schon vorbei. Es geht so schnell, wie es gekommen ist. Die Großnasen brechen die Ma-’ßa-Zelte und Lustbuden ab und transportieren die Trümmer irgendwohin. Zurück bleibt eine Wiese voll Dreck. Was sie mit dem Dreck tun, weiß ich nicht. Wahrscheinlich verlassen sie sich darauf, da es ohnedies fast immer regnet, daß der Regen im Lauf des Jahres bis zum nächsten »Fest des Herbstmondes« alles wegschwemmt. Der Dreck auf den Straßen übrigens wird meiner Beobachtung nach dadurch beseitigt, daß die Großnasen mit ihren A-Tao-Wagen drüberfahren. Dadurch wird der Dreck zerkleinert, zerdrückt, pulverisiert und endlich vom Wind weggeweht. Daher der ständige ölige Ruß in der Luft, an den die Großnasen aber gewöhnt sind. Ich wunderte mich immer schon die ganze Zeit, daß die Tiere und Pflanzen das aushalten. Über dieses Problem habe ich viel nachgedacht, bin aber bis vorgestern zu keiner Lösung gekommen. Vorgestern aber habe ich in der Halle dieses Hong-tels hier einen hochinteressanten Mann kennengelernt. Du mußt Dir das so vorstellen: die Halle des Hong-tel, eigentlich eine Vielzahl von ineinandergehenden, mit Teppichen ausgelegten, zum Teil durch kurze Treppen oder Balustraden voneinander getrennte, sehr prächtige Hallen, steht allen Gästen des Hong-tel zur Verfügung. Es stehen kleine Tische herum und sehr bequeme Sessel. Diener laufen hin und her und befragen einen nach seinen Wünschen. Ich sitze gern da, denn es gibt immer etwas zu beobachten, und da viele andere Leute (übrigens auch Frauen) hier sitzen, kommt man leicht ins Gespräch.
    Vorgestern ging ich in die Halle hinunter und sah an einem Tisch einen Herrn sitzen, der mir nicht zur primitiven Art der Großnasen zu gehören schien. Er war riesig, wie fast alle Großnasen, und hatte einen gewaltigen runden Bart von schwarzer Farbe. Er las in einem Buch. Kein anderer kleiner Tisch war frei, also trat ich zu ihm, machte eine Drittel-Verbeugung und sagte: »Erlaubt der Ehrwürdig-bärtige Mandarin in seiner selbst von fernen Urenkeln noch zu preisenden Gutmütigkeit sowie Langmut, daß ein nichtsnutziger Angehöriger eines fernen, zwergenwüchsigen Volkes die Luft um den herrlichen Tisch hier verschmutzt und sich hersetzt?«
    Der Bärtige blickte kurz auf, schaute verdutzt, fletschte aber dann die Zähne und sagte: »Aber bitte.« Er sagte nur das: »Aber bitte.« Höflichkeitsformeln sind unter Großnasen nicht üblich. Ich weiß das längst; ich weiß auch, daß meine höflichen Anreden – obwohl ich sie ohnedies, wie Du an der eben wiedergegebenen siehst, schon auf ein nahezu beleidigendes Maß verkürze – von den Großnasen oft mißdeutet und schlecht gewürdigt werden. Dennoch kann ich mir die Höflichkeit nicht abgewöhnen, bin auch nicht gewillt, es zu tun. Ich bin außerstande, die durch meine Erziehung und die ewigen – na ja … »ewigen« – Grundsätze des Konfuzianismus in mir eingeprägten Seelenzüge zu verleugnen. Daß sie die Welt hier nicht ändern werden, ist natürlich klar. Aber ich fühle mich wohler dabei. Das habe ich auch Frau Pao-leng gesagt, die mich gebeten hat, wenigstens während des Liebesaktes auf höfliche Reden und lobende Erwähnungen ihrer verschiedenen Körperstellen zu verzichten.
    »Aber bitte«, sagte also der Bärtige, und ich setzte mich unter nochmaliger Verbeugung. Als der Diener kam, bestellte ich für mich ein Getränk, das ich hier im Hong-tel schätzengelernt habe: ein starkes rotes Wasser, das Kang-pa-li heißt. Der Bärtige las zunächst weiter, aber als ich aus meinem kleinen Lederetui (dem Abschiedsgeschenk von Herrn Shi-shmi) eines jener wohlriechenden Brandopfer meiner bevorzugten Sorte Da-wing-do in den Mund steckte und anzündete, schaute er von seinem Buch auf und schnupperte wohlgefällig. Ich bot ihm eine Da-wing-do aus meinem Etui an. Er nahm sie und dankte, und so kamen wir ins Gespräch. Später tranken wir noch eine Flasche Mo-te Shang-dong.
    Der Herr – er wohnt immer noch hier im Hong-tel, ich sehe ihn oft – ist ein Meister der Waldpflege, stammt aus einer nördlichen Stadt, wo er an einer Gelehrten-Akademie unterrichtet, und hält sich in Min-chen zu Studienzwecken auf. Seinen eigentlichen Namen, sagte er, könne ich sicher nicht aussprechen und noch weniger mir

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