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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Welt.« Ich antwortete nichts. Ich will möglichst wenigen meine wahre Herkunft verraten. Herr Shi-shmi weiß sie, auch Frau Pao-leng; darauf will ich es vorerst beschränken. Auch kenne ich Herrn Yü-len-tzu noch nicht lange genug, um mir ein wirklich abschließendes Bild von ihm machen zu können.
    »Nein«, sagte er dann, »einen Kaiser gibt es nicht mehr, der den korrupten Ministern auf die Finger klopfen würde, und der letzte Minister, der geköpft wurde … das ist lang her. Hundertfünfzig Jahre.«
    »Zu lang«, sagte ich.
    »Außerdem war der letzte Kaiser selber ein arroganter Dümmling.«
    »Wi-li mit dem Holzkopf«, sagte ich.
    »Ach, Sie kennen die Geschichte«, sage er. » Jetzt haben wir ein politisches System, das postuliert, daß das Volk der Kaiser ist.«
    »Dann scheint mir«, wandte ich ein, »dieses politische System selbst schlecht zu sein?«
    »Das kann man nicht sagen«, sagte Herr Yü-len ernst, »das System ist gut, nur die Menschen sind schlecht.«
    »Die Weisen lehren«, sagte ich, »also ich meine: unsere alten Weisen lehren, daß nur jenes politische System wirklich gut ist, das den schlechten Menschen voraussetzt.«
    »Den schlechten oder den dummen?«
    »Was das politische System angeht«, sagte ich, »lehren unsere Weisen, ist dumm soviel wie schlecht. Aber solche Weisheit ist für diese Ihre Welt wohl zu alt. Sie schätzen nur die neue Weisheit.«
    Verzeih, mein treuer Dji-gu, hier wurde ich unterbrochen. Ab und zu schreibe ich einige Seiten dieser Briefe oben in meinen Gemächern, ab und zu aber auch unten in der großen Halle des Hong-tel. Was Du eben gelesen hast, habe ich unten in der Halle geschrieben. Herr Yü-len ist gekommen, hat mir über die Schulter geschaut – er ist von unbekümmertem Wesen, man muß sich daran gewöhnen – und hat sich an den schönen, ihm natürlich völlig fremden Schriftzeichen erfreut. Ich sagte, was ja stimmt, ich schriebe einem fernen Landsmann. Er sagte: er lade mich ein, heute abend ein öffentliches Speisehaus mit Tanz zu besuchen. Da ich es für richtig halte, auch dies kennenzulernen, habe ich mich verbeugt und seine Einladung angenommen. So unterbreche ich also diesen Brief. Ich verschließe ihn und werde ihn erst morgen zum Kontaktpunkt bringen. Vielleicht ist dann auch ein Brief von Dir da. Yü-len-tzu wartet schon unten. Ich grüße Dich
    Dein Freund Kao-tai

Neunzehnter Brief
    (Montag, 14. Oktober)
    Lieber Freund Dji-gu.
    Ich weiß nicht recht, ob ich das, was ich gestern erlebt habe, dem privaten oder dem öffentlichen Leben der Großnasen zurechnen soll. Ich sitze wieder in der Großen Halle des Hong-tel, und es ist Vormittag. Meister Yü-len war vorhin herunten. Wir haben zusammen gefrühstückt. Danach ist er wieder in sein Zimmer hinaufgegangen, um sich von der Zofe eine kalte Kopf-Kompresse machen zu lassen. Er war nicht unfreundlich, wohl aber wortkarg. Eigentlich hätte er jetzt zu einem Vortrag gehen sollen, den ein Fachkollege von ihm hält, ein anderer Meister der Waldbau-Kunst. Er versage sich das diesmal, hat Herr Yü-len gesagt, und man dürfe ihn keineswegs vor Ablauf von vier Stunden wecken. Ich versicherte ihm mein tiefempfundenes Mitgefühl und sagte, daß auch ich nicht so ganz aufrecht um meine Seele herum angeordnet sei, wie es sein soll.
    Dennoch schreibe ich Dir diesen Brief und werde ihn dann zusammen mit dem von gestern zum Kontaktpunkt bringen.
    Wir begaben uns also gestern von hier, vom Hong-tel aus zu einem öffentlichen Speisehaus, das nicht sehr weit entfernt liegt. Ich sei sein Gast, sagte Meister Yü-len, und er habe eine große Überraschung für mich. Der Abend war mild und schön. Wir gingen zu Fuß durch die Stadt und redeten dieses und jenes. Die von Yü-len-tzu versprochene Überraschung gelang vollkommen, war allerdings von der etwas derben Art, die das ganze Wesen Meister Yü-lens ausmacht und die ich als ungehobelt (selbst gemessen an der generellen Grobheit der Großnasen) empfinden könnte, wenn ich nicht die aufrichtige und herzliche Einstellung Meister Yü-lens zu mir vorher gekannt hätte. Auch ging alles nur knapp an einer äußerst peinlichen Situation vorbei; aber das konnte Meister Yü-len ja nicht ahnen, da er nicht weiß, woher ich wirklich komme.
    Schon beim Betreten des öffentlichen Speisehauses stutzte ich: standen da nicht neben Anschriften in der Sprache der Großnasen unsere Schriftzeichen? Ja – lies und staune: da stand in dieser fernen Welt und Zukunft in den uns

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