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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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geläufigen Schriftzeichen »Großes Haus«. Die Schriftzeichen waren nicht anders, als wir sie zu schreiben gewohnt sind. Yü-len-tzu lächelte verschmitzt, als er meine Verblüffung bemerkte. Er zog mich hinein. Was sage ich Dir: liefen da nicht ein paar Leute herum, die – obzwar in der Art der Großnasen gekleidet – unbestritten die Gesichtszüge und Merkmale von Menschen aus dem Reich der Mitte trugen? Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und obwohl ich einen gewissen Anflug von Vertrautheit empfand, war mein erster Gedanke: zu fliehen. Ich fühlte mich entdeckt. Aber ich sagte mir: schließlich ist das, was ich tue, meine Reise hierher, so ungewöhnlich sie auch sein mag, kein Verbrechen und braucht die Entdeckung nicht zu scheuen, auch wenn sie mir unangenehm wäre.
    Einer der Diener stürzte diensteifrig zu uns her (es waren wenig Leute in dem Speisehaus) und erkannte in mir selbstverständlich sofort einen – vermeintlichen – Landsmann. Nun gut: Landsmann bin ich ja, nur kein Zeitgenosse. Er redete mich an, aber ich verstand wenig. Das war wiederum ein Glück: er stammte aus dem exotischen Kuang-chou 11
› Hinweis
und redete wohl das dortige Kauderwelsch. Ich erklärte das Herrn Yü-len. Er sagte verstehend: aha.
    Diese Gefahr war umgangen (auch die anderen Diener, alles Verwandte des ersten, stammten, wie sich ergab, aus Kuang-chou), und wir setzten uns.
    Das Lokal sollte wohl ein Haus aus dem Reich der Mitte imitieren, und als Imitation war es gar nicht so schlecht, wenn auch manche Schriftzeichen, die an den Wänden als Dekoration gemalt waren, hellen Unsinn ergaben. An einer Wand stand: »Ein Kaninchen aus Kung-te frißt keine Maikäfer« und an der anderen: »Bilsenkraut mit Reiswein und Frau altes Schiff«. Ich konnte es mir nicht versagen, den Diener – in der Sprache der Großnasen, denn er verstand mich so wenig wie ich ihn – nach dem Sinn dieser Sprüche zu fragen. Der Diener wurde verlegen und sagte entschuldigend: ein großnäsiger Kalligraph hätte die Zeilen, ohne ihre Bedeutung zu erkennen, aus einem Buch abgemalt. Noch niemand habe sich daran gestoßen, und wenn eine Großnase danach frage, erlaube er sich zu erklären, es handle sich um Aussprüche des weisen K’ung-fu-tzu. Eine Frechheit, wofür ich dem Diener eigentlich die Schüssel mit Reis über den Kopf hätte stülpen sollen. Ich unterließ es mit Rücksicht auf Herrn Yü-len-tzu, der die Sache in seiner munteren Art eher lustig fand.
    Die Ausstattung des Speiselokals war so, mußt Du Dir vorstellen, als habe man sie mit einer fernen Ahnung vom Schatten unserer glorreichen Zeit eingerichtet. Einige Schnitzereien an den Balustraden erinnerten etwas an unseren Stil, und ein paar Vasen, die herumstanden, hätten für vergröberte Abbilder von Produkten unserer Zeit gelten können, wenn man nicht genau hinsah. Meine Hoffnung, daß es gebratenen Hund gab, erfüllte sich indessen nicht. Ich aß Huhn. Auch dessen Zubereitung erinnerte mich entfernt – wie die des Reises – an unsere Küche; wohltuend und sehr erleichternd für mich war, daß alles unter Vermeidung von Rindsmilch und deren Derivaten zubereitet war. Das immerhin scheint die Küche unserer Enkel noch nicht verdorben zu haben. Mo-te Shang-dong gab es auch. Trotz allem war ich doch erleichtert, als wir dieses merkwürdige »Große Haus« wieder verließen.
    Wir betraten die Straße. Ich habe Dir schon von der Einteilung der Monde in Wo-’cheng erzählt und von der wiederkehrenden Bedeutung einzelner Tage in diesen Zyklen. Gestern war einer der Tage – der »Tag der Sonne«, an dem alle Läden geschlossen sind und die Großnasen sinnlos durch die Parks rennen. Gegen Abend verliert sich das Gerenne, und die Stadt wird fast still. Sofern es den edlen Ausdruck nicht beleidigt, könnte man sagen, etwas wie ein Schatten von Poesie wehe dann in der Stadt. Man hört Brunnen plätschern, aber dann ist es wieder so, daß die wenigen herumfahrenden A-tao-Wagen, weil einzeln Lärm machend, besonders stören.
    So ein Abend war gestern. Als Meister Yü-len und ich die Straße betraten, war es schon dunkel. Das macht in der Stadt gar nichts, denn erstens haben die Großnasen die automatisch-magnetische Beleuchtung der Straßen, die ich schon mehrfach erwähnt habe. Zweitens haben die Großnasen-Kaufleute die Angewohnheit, die Fenster ihrer Läden in schamloser Weise zu beleuchten, um auf ihre Waren hinzuweisen, selbst dann, wenn die Läden selber geschlossen sind und

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