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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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zahllose grelle Lampen verbreiteten, sah ich riesige Räder sich drehen, Schaukeln flogen, überall saßen Großnasen und ließen sich furchtlos oder, besser gesagt, selbstmörderisch durch die Luft schleudern. Überall stank es, denn zu der Lustbarkeit gehört es offenbar, daß sie ihre Notdurft verrichten, wo immer sie der Drang überkommt, und da ein Hauptteil der Lustbarkeit darin besteht, daß sie Ma-’ßa und Hal-bal in ungeheuren Mengen trinken, müssen sie auch sehr viel von sich geben.
    Ich weigerte mich natürlich, mich auf so ein Rad schnallen oder an so eine fliegende Kette hängen zu lassen. Aber ich folgte dann, nachdem ich – immer noch an den Arm meines Freundes geklammert – einen Rundgang von vielleicht einer Stunde gemacht hatte, Herrn Shi-shmi in eine der Haupt-Trink-Stätten. Das sind unvorstellbar riesige Zelte, in denen es vor Menschendampf wie in einem Stall riecht. Eine Gruppe von Musikern spielte auf sehr dicken Trompeten auf einem Podium in der Mitte äußerst kräftige Musik, die mit der des Meisters We-to-feng nicht das geringste zu tun hat. Die meisten Leute sind grün gekleidet und tragen stark lächerliche Hüte. Unvorstellbar dicke Dienerinnen, die – wie mir Herr Shi-shmi sagte – eigens darin ausgebildet sind, zehn, zwölf und noch mehr Ma-’ßa-Krüge gleichzeitig zu schleppen, stampfen von Tisch zu Tisch und verteilen die Krüge. Die Großnasen, oft mit merkwürdigen Insignien geschmückt, mit Papierblumen bekränzt oder mit Haarbüscheln am Hut, schlagen sich auf die Schenkel und schreien ohne ersichtlichen Grund. Sie öffnen den Mund weit und schütten das Ma-’ßa-Getränk, kaum daß ihnen die Dienerin den Krug gebracht hat, in den Schlund. In regelmäßigen Abständen spielt die ohnedies alles übertönende Musik noch lauter ein sehr kurzes, offenbar äußerst beliebtes Lied, dessen Sinn mir nicht ganz klar war. Es lautete: Wan-tswa-xu-fa…, worauf auf einer gewaltigen Trommel drei mächtige Schläge erdröhnen. Das ist das Zeichen, daß jeder seinen Ma-’ßa-Krug ergreift und soviel in sich hineingießt, wie ihm möglich ist. Danach entlädt sich ein Brüllen, und alle schreien nach den Dienerinnen, damit neues Ma-’ßa gebracht wird. In riesigen Fässern wird es von draußen herangerollt, und dämonische Berserker in Lederschürzen mit Händen wie Schaufeln stechen die Fässer an bestimmten Stellen an, aus denen sich dann die Flüssigkeit in die Krüge ergießt.
    Es bleibt natürlich nicht aus, daß die sehr bald berauschten Großnasen entweder untereinander oder mit den Krug-Dienerinnen zu streiten anfangen. Das artet oft blitzartig in eine Schlägerei aus, und dann kommt so ein Dämon mit Schaufelhänden, ergreift den zappelnden Unruhestifter und schleudert ihn aus dem Zelt hinaus. Das ist stets von mehr oder weniger freudigen Zurufen begleitet, und unmittelbar danach spielt die Musik wieder das beliebte: Wan-tswa-xu-fa … und alle singen mit ihren tiefen Stimmen mit.
    Das geht fast bis gegen Mitternacht so, dann werden die Lichter gelöscht und keine Fässer mehr hereingerollt. Die zu der Zeit längst besoffenen Großnasen schlagen – sofern sie nicht schon unter den Tischen liegen – mit den Krügen auf die Tische, weil sie weiteres Ma-’ßa wollen. Sie kriegen aber keines mehr. Die Stadtverwaltung ist immerhin so weise, daß sie, aus Angst wohl, daß die Großnasen sonst die ganze Stadt zertrümmern würden, nur begrenzten Ma-’ßa-Ausschank zuläßt. Auch die Musiker packen ihre Instrumente ein. Nur noch das Grölen und Rülpsen der Trinker ist zu hören. Endlich kriechen sie nach Hause.
    Auch wir gingen vorsichtig, um nicht in Kot oder Erbrochenes zu treten, und ich war wie betäubt. Vierzehn Tage halten die Großnasen das durch. Dabei vergessen sie oder vertreiben mit Gewalt und zwanghaft ihren Mißmut. Viele werfen, sofern sie noch in der Lage dazu sind, ihre Hüte in die Luft und stoßen dabei kurze, gellende Rufe aus. Viele steigen dann in ihre A-tao-Wagen und fahren gegen Bäume, was die anderen besonders komisch finden. Das ist die Lustbarkeit der Großnasen. Ich habe Herrn Shi-shmi gefragt: ob das denn ihm wirklich gefalle? Nein, hat er gesagt, aber er sei mit mir hergegangen, weil er meine, ich müsse das auch sehen. Damit hat er freilich recht.
    Eine andere Lustbarkeit öffentlicher Art, hat mir Herr Shi-shmi gesagt, finde im Winter statt. Im Gegensatz zum »Fest des Herbstmondes«, dem man sich dadurch entziehen kann, indem man nicht hingeht,

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