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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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man gar nichts kaufen kann. Ich kann das immer noch nicht verstehen: diese so würdelos nach außen gekehrte Darbietung des eigenen Verdienstes, also der Waren. Wenn mir nicht schon durch meine konfuzianische Erziehung der Abscheu vor allen Kaufleuten eingepflanzt wäre: spätestens hier hätte ich ihn erworben.
    »Tja –«, das ist kein Wort aus der Sprache des Reiches der Mitte, obwohl es so klingt. »Tja –«, sagte Herr Yü-len-tzu, und das bedeutet ungefähr: ich wüßte gern, was ich jetzt wollte. »Tja – wo gehen wir hin?« Er blickte von seiner gewaltigen Höhe die Straße hinauf und hinab und wendete seinen mächtigen runden Bart in alle Himmelsrichtungen. Ich schlug vor, Frau Pao-leng einen Besuch zu machen, und erklärte, daß ich inzwischen die unverdiente Ehre gehabt hätte, für Frau Pao-leng ein weißseidenes, äußerst spinnwebdünnes Hosen-Kleid erwerben zu dürfen, mit leicht-goldenen Ornamenten, das ihren Körper bei geeigneter Beleuchtung in höchst vorteilhafter Weise durchschimmern läßt, mehr noch als das bunt-weithinleuchtende Wellenkleid. Ich stellte in Aussicht, daß auf meine Bitte hin die Dame Pao-leng ohne Zweifel dieses bewundernswürdige Hosen-Kleid anziehen würde, schilderte auch die himmlischen Vergnügen beim Anblick ihres Leibes; auch erzählte ich von der Katze Meister Mi.
    »Ach was«, sagte Herr Yü-len-tzu, »da können wir immer noch hingehen. Erst stülpen wir uns noch dort drüben einen unter die Weste.« Das ist einer der Lieblingsausdrücke von Meister Yü-len. Er bedeutet soviel wie: er beabsichtigt, einen erfrischenden Trunk zu sich zu nehmen.
    So gingen wir also quer über einen großen Platz und in ein anderes Speisehaus, das sehr groß war und ungefähr so roch wie das große Zelt auf dem »Fest des Herbstmondes«. Meister Yü-len wollte unbedingt, daß ich ein Hal-bal trinken solle, aber ich lehnte mit einer Viertel-Verbeugung ab. So trank er allein Hal-bal, und zwar in rascher Folge drei Krüge hintereinander. Ich weiß nicht, wie die Großnasen das machen. Unsereinem würde es den Leib zerreißen, wenn wir solche Mengen Flüssigkeit in uns hineingössen. Ihm schmeckte es. Der Schaum des Hal-bal-Getränkes blieb in seinem Bart hängen, und er wischte ihn sich mit fröhlichen Gesten ab. Ich trank einen Becher Traubenwein. Das heißt: ich duldete es, daß der Diener einen solchen Becher vor mich hinstellte. Ich nippte auch daran, aber ich trank ihn nicht aus. Es war bitter. Ich hatte das Gefühl, die Finger- und Zehennägel zögen sich in den Körper zurück. Im Lokal war es sehr laut. Eine musikalische Gruppe spielte stark. Auch sangen einige Leute, aber nicht schön. Um den Geruch, der hier vorherrschte, etwas von uns fernzuhalten, zündeten wir uns je eine Da-wing-do an. Als wir sie zu Ende geraucht hatten, verließen wir dieses Speisehaus.
    Im Lokal war Herr Yü-len-tzu wieder auf die Probleme der Waldbau-Kunst, sein Fachgebiet, zu sprechen gekommen. Es sei alles nicht so einfach, seufzte er, und ob wir in Chi-na diese Schwierigkeiten nicht auch hätten? Er hält mich natürlich für einen Reisenden aus dem heutigen Reich der Mitte. Wie auch anders. Er hat schon ein paar Mal in seiner unbekümmerten Art gefragt, was ich denn so treibe, und warum und wie lang ich mich in Min-chen aufhalte. Ich habe ausweichend geantwortet. Mehrmals hat er auch nach dem Stand der Waldbau-Kunst im Reich der Mitte gefragt. Es interessiere ihn sehr stark. Er sei schon einmal dorthin eingeladen gewesen, aber aus verschiedenen Gründen habe er nicht fahren können, was ihm sehr leid tue. Ich konnte ihm über den Stand der Waldbau-Kunst im heutigen Reich der Mitte leider naturgemäß keine Auskunft geben und antwortete wieder ausweichend. Das wird mir langsam peinlich und erschwert mir die Fragen an ihn.
    Im zweiten Lokal, das wir aufsuchten, fing er wieder damit an. »Woher kommen Sie?« fragte er. »Aus Chi-na«, sagte ich. »Ja«, sagte er, »ich meine aber, aus welcher Stadt?« Ich antwortete – vielleicht etwas unbedacht, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu bleiben –: »Aus K’ai-feng.« Er nahm ein kleines Papierbüchlein aus der Tasche und schlug etwas nach, dann sagte er: »Kennen Sie einen Meister der Waldbau-Kunst, der an der Gelehrten-Akademie in Pei-ching lehrt und Chiang Chiao-yü heißt? Er gilt als der beste Waldbau-Experte in Chi-na und hat mich seinerzeit eingeladen.« Natürlich kenne ich den fernen Enkel Chiang Chiao-yü nicht, der tausend Jahre nach mir

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