Briefe in die chinesische Vergangenheit
seinem Gesicht bemerkte ich, daß er das nicht ernst meinte.
»Eine Verordnung gegen den Ruß in der Luft? Hält sich der Ruß daran?«
Meister Yü-len lachte. »Eine gute Frage«, sagte er dann. »Der Ruß hält sich nicht daran, vor allem aber die Leute, die den Ruß erzeugen, halten sich nicht daran.«
Ich prallte zurück: »Es gibt Leute, die Ruß erzeugen und in die Luft hinausblasen? Absichtlich? Kann man denen nicht das Handwerk legen?«
»Sie fragen«, sagte Herr Yü-len-tzu, »als kämen Sie von hinter dem Mond!« Ich tat so, als überhörte ich diese für mich so verfängliche Äußerung. »Was heißt: absichtlich – ja, mehr oder minder absichtlich. Aber das Problem haben Sie doch auch in Chi-na, wenn auch wahrscheinlich nicht in dem Ausmaß wie bei uns.« Es war mir klar, daß ich, wollte ich weitere Kenntnisse aus dem speziellen Wissensschatz des Meisters Yü-len erwerben, irgendeine Erklärung für meine völlige Unwissenheit finden mußte. Das einfachste wäre natürlich gewesen, daß ich ihm meine Herkunft offengelegt hätte. Ich scheute davor zurück – tue es auch jetzt noch –, denn: er würde sie mir nicht glauben. Er ist anders als Frau Pao-leng und Herr Shi-shmi, denen ich mich anvertrauen konnte. Nicht, daß Meister Yü-len nicht vertrauenswürdig wäre, aber er ist von der Art der Leute, die nur glauben, was sie mit Händen greifen können. Gut, ich könnte ihn überzeugen, indem ich ihm den Kompaß zeigte und ihn einmal zum Kontaktpunkt mitnähme und Zeuge sein ließe, wie die Kontaktkapsel mit dem Brief verschwindet. Er würde mir dann glauben; aber so, wie ich ihn einschätze, würde er das auch sofort an die große Glocke hängen (ein Großnasen-Ausdruck, der soviel bedeutet wie: etwas überall herumerzählen) und dabei noch meinen, er erweise mir einen Dienst.
Ich behauptete also – in wohlgesetzter Rede und mit vielen höflichen und schmeichelhaften Anreden – ein Philosoph zu sein und Erforscher der Gedanken des himmlischen K’ung-fu-tzu. (Der Weise vom Aprikosenhügel war ihm bekannt.) Ich behauptete weiter, daß ich die letzten Jahre ausschließlich mit Betrachtungen philosophischer Art und zurückgezogenen Studien der alten Schriften zugebracht hätte. Was in der Welt vorgegangen sei, hätte ich nicht registriert. Ich sei praktisch ein Eremit gewesen.
Herr Yü-len-tzu schaute mich zweifelnd an, fragte aber nicht weiter. »Gehen Sie also davon aus«, sagte ich, »daß ich hinter dem Mond gelebt habe.«
»Dann weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, Ihnen das alles zu erklären«, sagte Meister Yü-len, »wo waren wir stehengeblieben?«
»Sie machten mir das übergroße Vergnügen zu erwähnen, daß es Leute gibt, die mehr oder weniger absichtlich Ruß in die Luft blasen.«
Was er dann sagte, kann ich in unserer Sprache gar nicht wiedergeben. Es sind da Wörter gefallen, die nicht übersetzbar sind, für die es nicht einmal ein Äquivalent in unserer Sprache gibt, weil uns – dem Himmel sei Dank – der Gegenstand zu dem Begriff fehlt. »Ab-cha’se« und »Sse-we-so« und »Fa-wiq« – das einzige, was ich Dir ungefähr übersetzen kann, ist der Begriff Essig-Regen. Ich war sehr erstaunt, als mir Herr Yü-len-tzu sagte, daß es hier Essig-Regen gäbe. Ich habe zwar, sagte ich, viele verschmutzte und ungesunde Dinge wahrgenommen in dieser Welt, aber daß es Essig regnen würde, habe ich noch nicht festgestellt, obwohl es mich nach dem Stand der Dinge hier nicht wundern würde.
Ja, doch – sagte er. Es regnet Essig, aber die Menschen merken es nicht. Es ist sozusagen sehr stark verwässerter Essig, der den Menschen nicht auffällt, aber den Bäumen schadet. Der Essig-Regen sei schuld an dem Verdorren der Bäume, namentlich der Nadelbäume, von dem er mir neulich berichtet habe. Wenn ich wollte, könne er mir – ganz in der Nähe hier von Min-chen – Wälder zeigen, die gar keine Wälder mehr seien, sondern nur noch Skelette von Wäldern. Dürre Strünke erhöben sich dort nur noch und etwas Unkraut am Boden. Eine Strafe des Himmels buchstäblich, denn von dort käme ja der Essig-Regen. Bald würde es überall so aussehen, wo früher Wald gewesen sei. Aber natürlich sei das keine Strafe des Himmels, vielmehr habe der Mensch, dieses Ungeziefer, selber den Essig-Regen hervorgerufen. Und er – Herr Yü-len-tzu schüttelte die Faust hinüber zu der Samthöhle, in der immer noch der meineidige Herr Minister Ch’i Man-man saß, der aber vom Faustschütteln nichts
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