Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
Vom Netzwerk:
geboren ist. (Zu Pei-ching, das die Großnasen Peking nennen, ist zu sagen, daß es hier – jetzt – wieder wie ehedem vor unserer Zeit dem Reich der Mitte einverleibt ist; wenigstens ein erfreulicher Zukunftsaspekt. Es ist heute die Hauptstadt des Reiches.) 12
› Hinweis
Ich sagte: »O ja. Persönlich hatte ich zwar noch nicht die Ehre, aber sein unvorstellbarer und wohlverdienter Ruhm ist selbstverständlich auch bis zu meinen schmutzverkrusteten Ohren gedrungen.«
    Du und ich und jeder bei uns würde aus so einer Antwort unschwer die Bedeutung entnehmen: ich habe keine Ahnung, wer der Mann ist. Nicht so die Großnasen. Sie nehmen alles wörtlich. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Meister Yü-len jubelte, schlug mir mit seinen überaus mächtigen Händen auf die Schulter und schrie: »Das trifft sich ja großartig. Dann werden wir ihn morgen an-rufen. «
    Unter Anrufung versteht man hier keine kultische Handlung, sondern den Vorgang, daß man zu dem Dir schon geschilderten Rüben-Gerät Te-lei-fong greift und mit einem fernen Menschen zu sprechen versucht.
    »Herrn Chiang Chiao-yü an-rufen?« rief ich erstaunt aus. »Nach Peking? Geht denn das?«
    »Warum denn nicht?« sagte Meister Yü-len. »Es dauert vielleicht ein bißchen länger, bis die Verbindung zustande kommt, aber gehen tut es selbstverständlich. Haben Sie denn, seit Sie hier sind, noch nie nach Peking, nach Hause te-lei-fongniert?«
    Ich faßte mich rasch. »Ah ja«, sagte ich, »wo sind meine Gedanken. Selbstverständlich habe ich schon zu Hause angerufen.«
    »Eben«, sagte er. »Dann können wir ja auch den Herrn Chiang Chiao-yü anrufen.«
    »Aber ich kenne ja den Mann, dessen welterstaunende Fachkenntnisse ich im Übrigen nicht anzweifle, gar nicht!«
    »Macht nichts, macht nichts«, sagte er, »er ist ein Kollege von mir, und Sie brauchen ihm nur meinen Namen zu sagen, dann weiß er schon Bescheid.«
    »Gut«, sagte ich, »morgen.« Ich hoffte, daß er die Angelegenheit vielleicht bis morgen vergessen würde.
    Wir verließen also das zweite öffentliche Speise- (oder vielmehr: Hal-bal-)Haus. Es war schon spät, und ich hoffte, daß wir unsere Schritte zu unserem Hong-tel hin richten würden. Das taten wir auch zunächst, aber dann faßte mich Herr Yü-len-tzu sanft am Arm, beugte sich zu mir herunter und sagte, während sein harter, runder Bart meine Backe kitzelte: »Und jetzt gehen wir ins ›Paradies‹!«
    Es handelte sich dabei um ein weiteres öffentliches Lokal, das sich gänzlich unangemessenerweise mit dieser Bezeichnung schmückt.
    Das Lokal war stark dunkel, und wir betraten es durch einen schweren rotsamtenen Vorhang, den ein schwarzgekleideter Diener beflissen zur Seite schob. Viele zerbrechlich wirkende goldene Stühlchen standen dort an wackligen Tischen, und es roch nach einer Mischung von Kampfer und Zitrone. Offenbar wird dieses Lokal wenig frequentiert, und ich sagte sogleich zu Herrn Yü-len-tzu: »Ich glaube mich berechtigt, in Unbescheidenheit und gleichzeitig Unwissenheit darauf aufmerksam machen zu müssen, daß wir die einzigen Gäste zu sein scheinen; und wie ich, obgleich sonst alles andere als scharfsinnig, die Diener solcher Etablissements kenne, und vor allem die Wirte, werden sie nicht zögern, auf uns den nicht getätigten Umsatz umzuwälzen.«
    Herr Yü-len-tzu sagte, das sei ihm »ein mit gehacktem Fleisch gefüllter Rindsdarm« (das ist ein Großnasenausdruck und bedeutet: es ist völlig gleichgültig), denn er habe gestern das unerwartet hohe Honorar für einen Vortrag bekommen, und das sei er fest entschlossen, heute mit mir zu verjubeln.
    Es waren aber, in der Finsternis im ersten Augenblick nicht zu bemerken, doch noch andere Gäste da, allerdings sehr wenig; höchstens zehn, alles Männer. Sie saßen in samtgeschmückten Höhlen und schauten vor sich hin. Träge saßen einige Damen auf einer Bank in einer Ecke, die sichtlich nicht zu den Gästen zählten, sondern das waren, wofür man sie sofort hält, selbst wenn man fremd in dieser Welt ist. Als die Damen uns kommen sahen, stand eine auf, räkelte sich und schickte sich an, sich zu uns zu bewegen. Der Diener fragte: »Wünschen die Herren Gesellschaft?« Meister Yü-len winkte ab und sagte: »Später vielleicht«, worauf sich der Diener der Dame zuwendete, ihr einen Wink gab und sie sich schmollend wieder hinsetzte.
    Auch hier spielte eine Gruppe von Musikern. Ich zählte drei. Sie spielten dankenswerterweise nicht laut, aber auch sichtlich

Weitere Kostenlose Bücher